Francesca Melandri

Eva dorme

Lili Grubers Inganno hatte mich in die bewegte und konfliktreiche Geschichte des Südtirols eingeführt, das 1918 als Kriegsbeute zu Italien geschlagen wurde und mehrere Generationen brauchte, bis es sich als Region mit einem weitgehenden Autonomiestatus innerhalb Italiens mit der Situation arrangieren konnte. Die Journalistin Lili Gruber interviewt Zeitzeugen, deckt politische Zusammenhänge und Hintergründe auf und verknüpft das mit einer Erzählung über drei junge Menschen, die in die Terroraktivitäten anfangs der 1960er Jahren involviert sind. Francesca Melandri legt zur gleichen Thematik einen Roman von epischen Dimensionen vor, der vor dem Hintergrund des politischen Konflikts tief in die Lebensrealitäten und die Passionen der Menschen vordringt und ein vielschichtiges, emotional berührendes Bild einer Gesellschaft im Umbruch vermittelt.

Im Zentrum steht Greta, die Mutter der Erzählerin Eva. Ihre Familie lebt im "Schanghai" genannten schattigen und geächteten Viertel, das für Rückkehrer wie ihren Vater Hermann am Rand des Dorfs gebaut wurde. Der Knecht Hermann war in den 1930er Jahren als "Optant" nach Hitlerdeutschland gezogen, hatte an der Ostfront gekämpft und war nach dem Krieg desillusioniert und verbittert ins Südtirol zurückgekommen. Kaum der Kindheit entwachsen, wird Greta nach Meran geschickt, um als Hilfskraft in einer Hotelküche zu arbeiten, obwohl alle wissen, dass die Frauen dort ausgenutzt und nicht zufällig abschätzig "Matratzen" genannt werden. Doch Greta, deren aparte Schönheit alle Blicke auf sich zieht, arbeitet hart und weiss sich zu wehren. Unterstützt von Küchenchef Neumann, der ihr Talent und ihren Fleiss erkennt, kann sie allmählich ihre Position verbessern. Aber das Unglück ereilt sie in Form einer ungewollten Schwangerschaft. Ihr Freund Hannes, der Sohn eines durch den Wintertourismus reich gewordenen Schattenhangbauern und ehemaligen Jugendfreundes von Hermann, ist ins Ausland verschwunden. Vater Hermann jagt sie mit ungeheurer Kaltherzigkeit aus dem Haus. Die Nonnen, die sie aufnehmen, wollen sie überzeugen, das Kind zu Adoption freizugeben.

Doch Greta will das Kind behalten und dank Neumann kann sie es die ersten paar Monate in die Küche und die Dienstbotenmansarde mitnehmen. Die Beschreibung des Alltags mit der kleinen Eva, die, in ein Orangenkistchen gebettet, in der stickigen und betriebsamen Küche schläft, ist eine der vielen Stellen im Buch, wo Melandris Erzählkunst – und auch ihre intensive Recherchearbeit – zum Tragen kommen. Als das Kind zu krabbeln beginnt, muss es weg, die Hotelbesitzerin gibt Greta 48 Stunden Zeit um eine Lösung zu finden. Niemand aus der Familie ist bereit, den Balg aufzunehmen und in letzter verzweifelter Hoffnung, lässt Greta das Kind in den Armen eines neunjährigen Mädchen aus der Nachbarsfamilie zurück.

Als ledige Mutter aus armen Verhältnissen wird Greta von den Wohlmeinenden geächtet, weiss sich aber ihr Leben als eigenständige Frau einzurichten. Eines Tages trifft sie Vito, den Polizisten aus Kalabrien und zwischen den beiden entsteht eine tiefe Zuneigung, die auch Eva einschliesst: "Nur einmal im Leben konnte sich meine Mutter Greta der Liebe eines Mannes sicher sein, und ich jener eines Vaters." Doch Vito kehrt nach Kalabrien zurück, und Eva hört erst wieder von ihm als etwa vierzigjährige Frau und erfolgreiche internationale Eventmanagerin. Vito liegt im Sterben und möchte sie nochmals sehen. In einer langen Zugreise nach Süditalien deckt Eva Schicht um Schicht des Lebens ihrer Mutter auf und erzählt eine berührende Liebesgeschichte, die in der geistigen und materiellen Enge der frühen 60er Jahre keinen dauerhaften Platz hatte. Doch nicht nur das: Francesca Melandri lässt die Lesenden tief in eine Gesellschaft eintauchen, wo die Unsicherheit der eigenen Identität dazu beiträgt, dass viele Menschen verhärtete Positionen einnehmen gegenüber allen, die anders sind, wie etwa Evas homosexueller Cousin Ulli. Ein wunderbarer Roman, voller Personen, die lebendig werden und Situationen, die so konkret und präzise beschrieben sind, dass man die Kälte des Winters, den Geruch in der Hotelküche oder die zwischen zwei Menschen herrschende Spannung förmlich spüren kann. Elisa Fuchs

Klappentext:

È l'alba. Anche stanotte Eva non riesce a dormire. Apre la finestra: l'aria pungente e dolce dell'aprile altoatesino sa di neve e di resina. All'improvviso il telefono squilla, la voce debole di un uomo che la chiama con il soprannome della sua infanzia: è Vito. È molto malato, e vorrebbe vederla per l'ultima volta. Carabiniere calabrese in pensione, ha prestato a lungo servizio in Alto Adige negli anni sessanta, anni cupi, di tensione e di attentati. Anni che non impedirono l'amore tra quello smarrito giovane carabiniere e la bellissima Gerda Huber, cuoca in un grande albergo, sorella di un terrorista altoatesino e soprattutto ragazza madre in un mondo ostile. Quando Vito è entrato nella sua vita, Eva la figlia bambina, ha provato per la prima volta il sapore di cosa sia un papà: qualcuno che ti vuole così bene che, se necessario, perfino ti sgrida. Sul treno che porta Eva da Vito morente, lungo i 1397 chilometri che corrono dalle guglie dolomitiche del Rosengarten fino al mare scintillante della Calabria, compiremo anche un viaggio a ritroso nel tempo, dentro la storia tormentata dell'Alto Adige e della famiglia Huber. La fine della prima guerra mondiale, quando il Sudtirolo austriaco venne assegnato all'Italia, quando Hermann Huber, futuro padre di Gerda, perse i genitori e con loro la capacità di amare.

Über die Autorin / über den Autor:

Francesca Melandri è una sceneggiatrice, scrittrice e documentarista italiana. Ha esordito nella narrativa nel 2010 con Eva dorme (Mondadori), un romanzo che ripercorre gli anni del terrorismo sudtirolese. Nel 2012 esce Più alto del mare (Rizzoli), finalista al Premio Campiello e vincitore del premio Rapallo Carige, mentre è del 2017 Sangue giusto (Rizzoli).

Preis: CHF 17.50
Sprache: Italienisch
Art: Tachenbuch
Erschienen: 2010
Verlag: Oscar Mondadori
ISBN: 978-88-301-0539-3
Reihe: Bompiani
Masse: 368 S.

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