José Avello

Jugadores de billar

Vier Schulfreunde treffen sich regelmässig zum Billardspiel im verrauchten, langsam zerfallenden Café Mercurio in Oviedo, Asturien, Spanien. Spielend haben sie es zur Meisterschaft gebracht, aber nur am Billardtisch, im wahren Leben weniger. Floro Santerbás, fett, wohnt noch bei Mama und Tante oberhalb ihres Schuhladens, schreibt jeden Tag zur frühen Morgenstunde halbbetrunken zwei, drei erhabene Sätze in ein Heft, aktuell in Heft Nr. 34, und wird so seinem Ruf als Dichter gerecht. Rodrigo de Almar, Typ Latin Lover, Maler oder Heroinhändler, Homosexueller oder Erzeuger eines Kindes, hat es einmal nach Thailand gebracht oder in die USA, ins Gefängnis oder auch nur in ein Sanatorium zur Entziehungskur, niemand weiss es genau, denn er macht ein grosses Getue um seine Geheimnisse. Manuel Arbeyo, Journalist und Kolumnist, öko, engagiert, aber unsympathisch. Er soll Anfang November ermordet werden. Faustdick, aber geradezu faustisch dick treibt es Álvaro Atienza, Dozent mit Buckel aus sehr reichem Haus, der sich in eine Studentin mit kastanienbraunem Haar verknallt, sich ihr aber nie erklärt und auch nie mehr von ihr lösen kann. Diesbezüglich geht es den andern ähnlich. Ob verheiratet oder aus der Ferne schmachtend: sie leiden an der Liebe. Ach ja, sie leiden natürlich auch an unerfülltem Sex. Denn die Frauen – Tante, Schwester, Schwarm,  Ehefrau –  sind die Handelnden und daher standfester, selbstbewusster. Nicht leicht zu verkraften für einen Mann.

Sie sind überhaupt grundsätzlich verunsichert und finden sich in der neuen Gesellschaft noch nicht ganz zurecht, die sich nach der Diktatur anders entwickelt, als sie es sich in der während ihrer Studentenzeit gemeinsam herausgegebenen und nach zwei Nummern eingestellten Literaturzeitschrift "Wutschäumende Poeten" vorgestellt hatten: nicht offen und experimentell, sondern habgierig und gemein. Also wie gehabt. Es sind die neunziger Jahre. Aber das franquistische System wetzt immer noch seine langen scharfen Krallen. Wo früher Raub von Hab und Gut ungesühnt geschehen konnte, weil gedeckt durch die Macht, da wird nun die Blutsaugerei legitimiert durch die Maxime des Wirtschaftswachstums. Dass auch die Freunde absahnen möchten, die ihre hehren, auch verqueren Ideale desillusioniert aufgegeben haben, ist allerdings nicht allein durch Gier begründet: sie brauchen das Geld für ihre Frauenangelegenheiten. Und für ihre Macken, die sie obsessiv pflegen. Denn so ordentlich ihre Auftritte bei Tage, so ungeheuerlich sind ihre Nachtseiten. Was sich hinter Türen und im Obskuren abspielt, ist abgründig, aberwitzig und teils abstossend. Allerdings auch spannender als die bürgerliche Fassade. Ihr Rückzug ins Private erweist sich als Rampe in die Abgründe menschlichen Tuns. Im Tiefpunkt aller Seelen verknäueln sich Abhängigkeiten mit Quälereien, Exzentrik mit Ausbeutungen, Hingabe mit Denunziation. Mord scheint geradezu das kleinere Übel.

Dass man als Lesende diese menschlichen Niederungen unbeschadet queren kann, liegt an der sensiblen Personenführung des Autors. Keiner ist nur schwarz oder weiss, nur blöd oder böse, sondern jeder hat auch liebenswürdige Seiten und Defizite, die ihn sympathisch machen. Alle vier scheitern, aber nicht alle fallen so endgültig aus dem Leben wie Manolo Arbeyo, für den es tatsächlich November wird. An seiner Beerdigung begegnen wir dem Ich-Erzähler dieser Geschichte, der namenlos bleiben will, wie er am Anfang des Romans erklärt. Er hält Distanz, damit er die Bühne ganz den Protagonisten überlassen kann. José Avello verwendet eine interessante Erzähltechnik: Jeder Figur gibt er für eine Weile Zeit und Raum, um diese danach stafettengleich an den nächsten weiterzugeben. Und wie beim Billardspiel eine Kugel die andere anstösst und diese den Spiellauf bestimmt, so wird ein Ereignis im Leben des einen zur Schicksalswendung für den andern. Die Handlung mit den vielen Strängen spielt nicht nur in der Gegenwart, sondern wird in Rückblenden bis zum Bürgerkrieg vergegenwärtigt. Das alles ist kunstvoll verzwirnt und vertäut und ohne Hektik in einem ruhigen Erzählfluss ausgebreitet. Ab und zu blitzt (angenehm) die philosophische Seite von Avello durch, wenn er einem eigenwilligen Gedanken nachspinnt. Und dass er den Roman nach kruden Höhepunkten so enden lässt, wie man es sich zwischendurch erwünschte, aber nicht zu erhoffen wagte, ist wie ein spöttisches Augenzwinkern gegenüber der Bosheit, die dann doch nicht über alles triumphiert.

Ein beeindruckendes Buch, das zu entdecken sich lohnt! Leider liegt es nur auf Spanisch vor, und das auch erst seit kurzem wieder, obwohl es schon 2001 erschienen ist. Der 1943 geborene und 2015 verstorbene José Avello, Professor für Kommunikationstheorie und Kultursoziologie in Madrid, schrieb nur zwei Romane. Jugadores de billar erhielt Preise und ging dann vergessen. Der kleine Verlag Ediciones Trea in Gijón hat es 2018 neu aufgelegt; die spanische Kritik hat dafür und auch für den Roman selber viel Lob geäussert. Maya Doetzkies

Klappentext:

"José Avello es autor de una de las mejores novelas de la literatura española contemporánea. Relata la relación de varios amigos que se reúnen en un café ovetense a lo largo de los años, en un ambiente aparentemente tranquilo pero donde subsisten los traumas de la Guerra Civil. La escritura es reflexiva y elegante; el tono, entre realista y simbolista; la visión, crítica con momentos cáusticos." Sergio Vila-Sanjuán, La Vanguardia (2015).
"Es difícil que encuentren un libro como Jugadores de billar de José Avello. Su novela empieza donde  termina Leopoldo Alas Clarín, y su Regenta. Con ese beso al sapo, que aún hoy llena de estupor a cualquier lector sensible." Gregorio Morán, La Vanguardia (2015).
"Resultado bien logrado de un proyecto ambicioso en todos los extremos, en la ordenación de la trama, en la construcción del escenario, en la elaboración de los personajes, en el estilo. Recuerda cierta permanencia histórica de las imposturas de la Guerra Civil." José María Merino, Revista de libros (2002).
"Jugadores de billar es una excepción en su tratamiento de uno de los temas más controvertidos y menos visitados por la literatura española: el expolio que los vencedores realizaron sobre los vencidos, el saqueo, la apropiación de los patrimonios y empresas de los derrotados, de los exiliados, recurriendo a la denuncia, falsa incluso a veces, o hasta al asesinato, legal o no, aprovechando la confusión y la sospecha generalizada en los momentos del final de la guerra." Isaac Rosa, La construcción de la memoria de la Guerra Civil y la dictadura en la literatura española reciente (2009)

Über die Autorin / über den Autor:

José Avello (Cangas de Narcea, 1943; Madrid, 2015) fue profesor de Teoría de la Comunicación en la Facultad de Ciencias de la Información y de Sociología de la Cultura en la Facultad de Bellas Artes de la Universidad Complutense de Madrid. Inició su actividad literaria en los setenta con la publicación de relatos en revistas literarias y codirigió la revista Estaciones. En 1983 fue finalista del Premio Nadal con su novela La subversión de Beti García (Destino, 1984). Jugadores de billar (Alfaguara, 2001), la novela que Ediciones Trea pone de nuevo al alcance de los lectores, fue Premio de la Crítica de Asturias (2001) y Premio Villa de Madrid de Narrativa "Ramón Gómez de la Serna" (2002), además de finalista del Premio Nacional de Narrativa y del Premio Andalucía de Novela.

Preis: CHF 47.90
Sprache: Spanisch
Art: Broschiertes Buch
Erschienen: 2018 (2001)
Verlag: Trea
ISBN: 978-84-17140-34-2
Masse: 552 S.

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