Luigi Malerba

Das Griechische Feuer

Ich habe den historischen Roman Das griechische Feuer von Luigi Malerba in seinem Erscheinungsjahr 1990 gelesen. Seitdem kommt mir die Geschichte von Verrat und Tod am byzantinischen Hof um die Jahrtausendwende immer wieder in den Sinn, sobald ich das Wort Byzanz höre. Inzwischen liegt auch eine deutsche Übersetzung bei Wagenbach vor.

Mit fundiertem historischem Wissen und sprachlicher Meisterschaft stellt Malerba die gesellschaftlich-politische Kommunikation am kaiserlichen Hof von Konstantinopel dar und lässt die Kaiserin Theofano, ihre Ehemänner und zahlreichen Geliebten wieder aufleben. Im Verlauf der spannenden Erzählung – der Vergleich mit guten Kriminalromanen ist angebracht – verlassen wir nur ab und zu den Kaiserpalast mit seiner weitläufigen Anordnung, seinen Zimmerfluchten, offiziellen Empfangshallen, prunkvollen Privatgemächern, geheimen Kammern und schmutzigen Zellen. Einmal begleiten wir Theofano zusammen mit ihrem Mann, dem Kaiser Nikephoros, an einen Kriegsschauplatz nach Thrakien, wo er die Skythen besiegt. Theofano verweilt in der Nähe des Schlachtgetümmels in einem Militärlager an der Donau. Sie ist nicht nur von den Schreien kämpfender und sterbender Männer angezogen, sondern auch fasziniert vom jungen Strategen und späteren Kaiser Tsimiskes, der bald ihr Geliebter wird. Einige Zeit sind wir mit kaiserlichen Beamten in Konstantinopel unterwegs und gewinnen Einblick in das Leben der Hauptstadt mit ihren Kaufleuten, Handwerkern, Hausfrauen, Seeleuten, Soldaten und Tagelöhnern. Die Schönheit und Pracht der Architektur des byzantinischen Konstantinopel mit ihrer Hauptachse, der Mese, der Hagia Sofia, dem Hippodrom entfaltet sich vor unseren Augen in der Beschreibung der triumphalen Einmärsche der siegreichen Kriegsherren in die Stadt. Aber die meisten Kapitel spielen im Palastbezirk – und wir sind, wie die Protagonisten, dort sozusagen eingesperrt. Wir werden Zeugen der infamen Intrigen der Palastbewohner. Jede Handlung, jedes Treffen, jeder Disput dient nur einem: dem Machterwerb und der Machterhaltung. Der kaiserliche Hof ist ein Ort der Gewalt, der Grausamkeit und des tödlichen Verrats.

Malerba stellt seine Protagonisten wie Schachfiguren auf: Die intrigante Kaiserin Theofano, der Kaiser Nikephoros und sein Bruder Leo Phokas, der Eunuch Joseph Bringas, Georgios Masarites – der höchste Richter des Reiches – und weitere Mitglieder des Beamtenadels treten gegeneinander an und sind sich spinnefeind. Jeder gegen jeden, und es geht dabei nicht zimperlich zu. Mal fliegt jemand aus dem Fenster und schlägt hart und tödlich auf, mal liegt jemand vergiftet  in seinem Privatgemach. Alle Agierenden bedienen sich desselben Mittels, um den Feind aus dem Weg zu räumen: dem griechischen Feuer. Dies war eine Geheimwaffe der Byzantiner, die ab 672 bis ins Jahr 1221 zum Einsatz kam. Dann wurde sie den Militärs von den Arabern gestohlen. Es handelte sich um eine Feuerkugel, die aus sogenannten Siphonen abgefeuert wurde. Sie steckte bei Seeschlachten die feindlichen Schiffe in Brand. Das Besondere: Das Feuer erlosch auch im Wasser nicht. Die Rezeptur war auf einem Pergament festgehalten. Derjenige, der es zu sehen bekam, war seines Todes gewiss. Der Werkmeister und seine Gehilfen, welche die chemische Formel natürlich kannten, waren lebenslänglich in einer streng bewachten Werkstatt eingesperrt. Bevor sie zur Herstellung der Waffe dorthin eingewiesen wurde, riss man ihnen die Zunge heraus, zertrümmerte ihr Trommelfell  und stach ihnen die Augen aus. Ein machtgieriger Anwärter auf einen höheren Posten innerhalb der Palastbürokratie oder sogar auf den Kaiserthron, musste also nichts anderes tun, als einem missliebigen Konkurrenten das Pergament vor Augen führen.

Die Spannung steigt von Kapitel zu Kapitel. Mit meisterhafter Erzählkunst und bissiger Ironie führt Malerba seine Protagonisten wahlweise in den Abgrund oder auf Höhepunkte der Macht. Ich habe während der Lektüre unweigerlich in diesem kriminellen Treiben am byzantinischen Hof Parallelen zu heutigen Machtspielen gesehen. Das griechische Feuer – ein Polit-Thriller vom Feinsten. Angela Willimann

Klappentext:

Malerbas erfolgreicher Roman spielt zur Blütezeit von Byzanz. Er handelt von der Macht und ihren Intrigen, einer männersüchtigen Kaiserin und einer Geheimwaffe, die "über das Wasser laufen" kann. Mit dem griechischen Feuer vermochte Byzanz feindliche Schiffe zu vernichten und fünf Jahrhunderte sein Imperium zu verteidigen, so lange, wie ausschliesslich der Kaiser und sein Werkmeister die Rezeptur kannten. Wem immer sonst das Pergament mit der Formel vor die Augen kam, der musste sterben. Dieses Pergament bestimmt den Roman. Ob es geschlossen oder geöffnet auftaucht, als Original oder als Fälschung, stets vernichtet oder rettet es Karrieren, verschont niemanden, verwandelt Drahtzieher in Opfer, am Ende auch die Kaiserin, die alles in der Hand zu haben glaubte, die Macht und die Männer.

Über die Autorin / über den Autor:

Luigi Malerba (eigentlich Luigi Bonardi) wurde am 11. November 1927 in Berceto bei Parma geboren. Er gehörte zu den Gründern der Gruppe 63, schrieb Theaterstücke, Drehbücher, Erzählungen und Romane. Der phantasievolle Geschichtenerzähler, der zu den wichtigsten zeitgenössischen Autoren Italiens zählt, lebte in Rom und Orvieto. 2008 verstarb Luigi Malerba.

Preis: CHF 25.80
Sprache: Deutsch (aus dem Italienischen von Iris Schnebel-Kaschnitz)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 1991
Verlag: Wagenbach
ISBN: 978-3-8031-3102-7
Masse: 220 S.

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