Juan Ramón Jiménez

Platero und ich. Andalusische Elegie

Der grosse Erfolg von Platero und ich beruht auf einem Missverständnis, über das der Autor und Nobelpreisträger (1956) Juan Ramón Jiménez nicht glücklich war. Er wollte das Buch sogar verbieten, aber da war es schon zu spät. Die Leser liebten Platero, ein Eselchen "so weich von aussen, aber stark und fest wie Stahl im Inneren". Sie verstanden es als Kinderbuch. Aber das ist es  wirklich nicht.

In 138 kurzen und kürzesten Kapiteln führt der Ich-Erzähler durch das Leben der andalusischen Kleinstadt Moguer am Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Ort zwischen Bergen und Meer, mit einer Seele aus Wein und Brot, wo nie viel passiert, aber der Alltag voller Dramen steckt. Ganz eigene Menschen leben hier, die Schwindsüchtige, der debile Bub, seiner Mutter Einundalles, aber auch der Pfarrer, der schlimmer flucht als jeder Bürstenbinder. Noch prägender ist die Natur, sind Tiere und Pflanzen. Was er sieht, und er sieht mit dem Herzen, darauf besteht Jiménez, gerät dem Dichter zur Poesie: die Grille und der  Ackerboden, die Regennächte und der Granatapfel mit den Rubinenkernen (Neruda kommt einem in den Sinn, aber von ihm hielt Jiménez nicht viel). Nach und nach formen sich die "Augenblicksentwürfe" (Jiménez) zum Panoptikum, das geprägt von Armut, Gewalt und Dumpfheit ist, aber auch von überschäumender Freude, Feste bis tief in die Nacht hinein und das Tschingderassassa der Corrida kennt. Die Kleinstadt hat viele Seiten, ist hart und weich. Wie Platero. Und was treibt der kleine Esel? Er trägt Kinder und Trauben, spielt den Tagedieb und hört zu, was ihm der Ich-Erzähler in die langen Ohren raunt: ein geduldiger Philosoph (und erinnert an Sancho Panzas Rucio in Cervantes Don Quijote).

Jiménez hat das Buch 1915 geschrieben, und was es nach hundert Jahren noch lesens- und liebenswert macht, ist seine flamboyante Sprache. Er reichert grosszügig mit Worten an und erfindet expressive Wortbilder (und der Übersetzer Fritz Vogelgsang hat ganze Arbeit geleistet). Man muss langsam lesen, um in der Farbenpracht nicht unterzugehen. Aber wer das versteht, wird belohnt: die Zeit hält ein wenig still.

Der Insel-Verlag legt ein Taschenbuch (10. Auflage 2014) mit einem umfangreichen Nachwort des 2009 verstorbenen Übersetzers Fritz Vogelgsang vor; und da findet man auch die Erklärung, wie es zum Kinderbuch-Irrtum gekommen ist: 1914 veröffentlichte ein Verleger eine Auswahl dieser Andalusischen Elegie in seiner Kinderbuchreihe Biblioteca Juventud, die schnell zu einem Erfolg wurden. Und als 1917 die vollständige Elegie erschien, war Platero der Stempel Kinderbuch schon aufgedrückt. Maya Doetzkies

Klappentext:

Juan Ramón Jiménez, geboren am 24. Dezember 1881, in Moguer, Provinz Huelva, ist am 29. Mai 1958 in San Juan, Puerto Rico, gestorben. Eine literarische Entdeckung eines längst weltberühmten und vielgeliebten Meisterwerks der klassischen Moderne. Die Lektüre lässt den Reiz und den Rang einer Prosadichtung eigener Art erahnen, deren Originaltext – wie Luis Cernuda schrieb – ein Sprachkunstwerk von "einzigartiger Frische und Lebendigkeit des Ausdrucks" ist: "Das andalusische Ambiente hat sich wohl selten mit soviel dichterischer Wahrheit offenbart…."

Platero und ich: die "Kindlichkeit", der das einsame ich dieses Werkes auf dem Rücken von Platero, einem kleinen Esel, Tag für Tag aufs neue entgegenzieht, während es die Winkel seines Heimatortes Moguer und das lockende Umland dieses meeresnahen westandalusischen Landstädtchens durchstreift, ist kein naturgegebener Besitz, Kindlichkeit ist hier vielmehr schmerzhaft schönes Inbild verlorener Natur, Ziel einer Suche nach dem zeitenthobenen Augenblick ursprünglicher Wahrnehmung, nach der Optik einer "zweiten Unschuld". Die funkelnd aneinandergereihten Augenblicksbilder der 138 Prosagedichte dieses Bandes summieren sich zum kaleidoskopisch bewegten Panorama einer Welt, deren exotischer Alltagsschimmer sich immer als besondere Farbenbrechung des einen, allem Leben gemeinsamem geschenkten Lichts erweist.

Über die Autorin / über den Autor:

Der spanische Lyriker und Prosaist Juan Ramón Jiménez wurde 1881 in Moguer geboren und starb 1958 in Puerto Rico, wo er seit Beginn des Spanischen Bürgerkrieges im Exil lebte. Von seinen zahlreichen Gedichtbänden und poetischen Prosaromanen ist Platero und ich wohl der bekannteste und beliebteste. Juan Ramón Jiménez gilt als einer der bedeutendsten spanischen Lyriker des zwanzigsten Jahrhunderts und wurde für seine Dichtung 1956 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Preis: CHF 17.90
Sprache: Deutsch (aus dem Spanischen von Fritz Vogelgsang)
Art: Taschenbuch
Erschienen: 1992
Verlag: Insel
ISBN: 978-3-458-33156-8
Masse: 366 S.

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