Suzanne Césaire

Die grosse Maskerade. Schriften der Dissidenz (1941-1945)

Obwohl ich mich leidenschaftlich für feministisch-dekoloniale Theorien interessiere, war mir der Name Suzanne Césaire bislang nicht bekannt. Dass mir bei dem Namen Césaire allerdings sofort Aimé Césaire, ein wichtiger Denker der Négritude einfällt, zeigt, wie der dekoloniale Diskurs nach wie vor männlich konnotiert ist. Bis zum Erscheinen dieses Buches wusste ich nicht, dass Aimé Césaire verheiratet war und dass seine Frau, Suzanne Césaire, auch zu den Pionier:innen der Négritude gehört hat. Diese Leerstelle im Diskurs wird mit dem Erscheinen von Maskerade. Schriften zur Dissidenz nicht nur sichtbar gemacht, sie wird mit einer kräftigen weiblichen Stimme, die sich schon früh dem Widerstand gegen Faschismus und Kolonialismus verpflichtet hat, gefüllt. Deswegen finde ich, dass die Übersetzung und Herausgabe der Texte von Suzanne Césaire, die in der Zeitschrift Tropiques zwischen 1941 und 1945 erschienen sind, einen wichtigen Beitrag für den feministisch-dekolonialen Diskurs leistet.

Der Untertitel des Buches verweist auf die Entstehung der Texte unter kolonialer Herrschaft. Um in Zeiten der Zensur widerspenstige, die Macht unterlaufende Texte veröffentlichen zu können, musste eine Sprache der Maskerade erfunden werden. Suzanne Césaire hat eine poetisch-zärtliche Schreibweise entwickelt, in der (koloniale) Unterdrückung, ökonomische Ungleichheit und imperiale Ausbeutung auf eine Weise zur Sprache kommen, die erst auf den zweiten Blick ihr revolutionäres Potential enthüllt. Es ist diese spezielle Form der sprachlichen Maskerade, welche die Texte von Suzanne Césaire nach wie vor lesenswert machen. Sie zeigen, wie über Sprache koloniale Macht herausgefordert und unterwandert werden kann. Die Schriften der Dissidenz, benannt nach der mächtigen Widerstandsbewegung auf den Antillen, zeigen aber auch, dass die Kolonialmacht begann, diese sprachlichen Maskeraden zu durchschauen. Die Zeitschrift Tropiques wurde im Jahr 1943 von der Zensurbehörde verboten. Auf die von der Behörde formulierten Vorwürfe, die Verantwortlichen für die Zeitschrift seien "Rassisten, Sektierer, Revolutionäre, Undankbare, Nestbeschmutzer, Seelenvergifter" antworten diese mit Gelassenheit. "Tatsächlich", so die Herausgeber:innen, "finden wir keine dieser Bezeichnungen besonders schlimm" (S. 14). Das war Widerstand in "dunklen Zeiten", so geht Widerstand heute.

Es ist das grosse Verdienst des Elster Verlags, dass er die Texte von Suzanne Césaire einem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht hat. Durch die Rahmung der Essays durch Texte von Daniel Maximin (Autor aus Guadeloupe), Aimé und Ina Césaire (Ehemann und Tochter), gewinnen Leser:innen Einblicke in widerspenstige Sprachpraktiken, die sich durch eine poetische Zärtlichkeit für eine Welt auszeichnen, für die es sich zu leben lohnt. Diese Praktiken sind heute notwendiger denn je. Doris Gödl

Klappentext:

Suzanne Césaires Werk umfasst sieben Essays, geschrieben für die von ihr mitbegründete Zeitschrift Tropiques 1941 bis 1945 in Martinique, in den schwierigen Jahren der "Dissidenz", des Widerstands gegen das autoritäre Vichy-Regime, dem auch ihre karibische Heimatinsel unterstand.

In jedem Essay geht sie der Trope, dem Bild der Maske in einer anderen Facette nach, arbeitet jeweils den blinden Fleck und einen Imperativ der Erkenntnis heraus. Sie entlarvt Assimilation als Selbstverleugnung, bürgerliche Konventionen als erzwungene Anpassung – als Teile der "grossen Maskerade": Gegen die Anpassung an die Herrschenden setzt sie die Neuschaffung von postkolonialen Identitäten. Sie fragt nach der Rolle von Literatur und Kunst bei der Ausbildung der Identitäten. Im Surrealismus, seiner Suche nach einem neuen Imaginären, sieht sie einen Weg, aus der Sackgasse der Täuschung herauszukommen. Ein anderer ist die Négritude, jene Bewegung, die den beleidigenden Ausdruck aufnimmt und kämpferisch verkehrt.

Suzanne Césaires Werk ist schmal aber bedeutsam. Es beleuchtet in flammenden Essays die grossen antikolonialistischen Fragen aus literarischer, politischer und persönlicher Sicht. Es ergänzt das Programm von Elster, das die Literatur der Négritude würdigt und von René Maran bis Yambo Ouologuem reicht. Schriften ihrer Weggefährten André Breton, André Masson, René Menil sowie Gedichte ihres Ehemanns Aimé Césaire und der Tochter Ina Césaire ergänzen den Band, der ein vielschichtiges Porträt der Dichterin bietet.

Über die Autorin / über den Autor:

Die antikolonialistische Dichterin und feministische Aktivistin Suzanne Césaire wurde 1915 auf Martinique geboren, studierte Literatur in Frankreich, lernte in Paris die avantgardistischen Zirkel um André Breton und ihren späteren Mann Aimé Césaire kennen, mit dem sie 1938 nach Martinique zurückkehrte. Dort gründeten sie die Widerstandszeitschrift Tropiques, für die sie Essays verfasste. Mit der Einstellung der Zeitschrift 1945 hörte sie auf zu schreiben. Sie arbeitete als Lehrerin, hatte mit ihrem Mann sechs Kinder und starb mit nur fünfzig Jahren 1966.

Preis: CHF 26.00
Sprache: Deutsch (aus dem Französischen von Uta Goridis)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2023
Verlag: Elster Verlag
ISBN: 978-3-906903-23-1
Masse: 128 S.

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