Lana Bastašić

Fang den Hasen

Ein Anruf genügt, um die seltsam distanzierte und ziemlich einsam wirkende Sara nach Bosnien zurückzuholen. Aber nur wenn der Anruf von Lejla kommt, der Kindheits- und Jugendfreundin, zu der die Verbindung zwölf Jahre zuvor abgebrochen ist. Damals haben sie gemeinsam Lejlas Hasen begraben. Kurz darauf ist Sara nach Irland emigriert und lebt seither dort, veröffentlicht Texte, verdient ihr Leben und hat Michael kennengelernt. Wie zerbrechlich und vordergründig dieses Leben ist, zeigt der Anruf von Lejla, die sie nach Mostar ruft, um sie nach Wien zu fahren.

Im Roman folgen wir den beiden jungen Frauen in ihrer Reise nach Wien, aber auch in ihrer Freundschaft. Der Kindergeburtstag der beiden siebenjährigen Mädchen, der Krieg in Bosnien – Lejla, die Muslimin, die ihren Namen in das serbische Lela ändern muss –, Armin, Lejlas verschwundener Bruder, die Maturafeier, das Studium und der Bruch zwischen ihnen. Die Erinnerungen an diese Ereignisse hüpfen kreuz und quer, und doch ist es einfach möglich, sich in diesen zurecht zu finden. Einzelne Bilder, die sich im Gedächtnis von Sara eingegraben haben, blitzen auf, reihen sich langsam in eine chronologische Ordnung ein und lassen die ganze Geschichte immer besser verstehen. Gleichzeitig lässt sich auch das erst schwer zu verstehende Verhalten der beiden jungen Frauen in der Jetzt-Zeit immer besser nachvollziehen. Bis alles – einem Spiegelkabinett ähnlich – in tausend Spiegelsplitter zerbricht.

Die Reise geht nicht nur in die Erinnerung an eine Freundschaft in der Zeit zurück, auch in ein Lebensgefühl im damaligen Bosnien. Der Krieg legt sich wie eine schwere Decke über die Zeit, ohne dass er direkt benannt oder beschrieben würde, so wie sich über ganz Bosnien auch im Jetzt noch immer eine unheimliche, undurchdringliche Dunkelheit für Sara gelegt hat. Bosnien ist nicht nur der Ort der Kindheit und des Aufwachsens, immer mehr wird Bosnien zum Kern der eigenen Natur, des eigenen Wesens, zu etwas Wildem und Unzivilisiertem, das im Gegensatz zum zivilisierten Europa nicht gebändigt ist, zu etwas Ursprünglichem und Selbstverständlichen, das Sara unbedingt auf Distanz von sich halten will.

Ein faszinierender Text, in einem frischen, frechen Ton, der den Leser*innen vor Augen führt, was es bedeuten kann, an einem fremden Ort zu leben, den Faden zu der eigenen Geschichte oder ganz einfach zu sich selber zu verlieren. Sehr lesenswert! cn

Klappentext:

Als junge Mädchen waren sie unzertrennlich, obwohl sie gegensätzlicher nicht sein könnten: Lejla, die Schamlose, Unbändige. Sara, die besonnene Tochter des Polizeichefs. Eine zwiespältige Nähe aus Befremden und Anziehung. Eine aussergewöhnliche Freundschaft, die plötzlich zerfiel wie das Land, in dem sie aufwuchsen. 12 Jahre ist es her, als Sara Bosnien verliess, um an einem besseren Ort ein neues Leben zu beginnen. 12 Jahre absoluter Funkstille, als ein Anruf sie in die verlorene Heimat zurückbringt. Die Rückkehr wird kein harmloses Wiedersehen zweier Kindheitsfreundinnen.

Mit einer fesselnden Sprache zwischen rebellischem Trotz und beissender Komik erzählt Bosniens aufregender Literatur-Shootingstar Lana Bastašić in Fang den Hasen von einer aussergewöhnlichen Freundschaft in den Wirren der jugoslawischen Geschichte.

Über die Autorin / über den Autor:

Lana Bastašić, 1986 in Zagreb, Kroatien, als Kind serbischer Eltern geboren, wuchs nach dem Zerfall Jugoslawiens in Bosnien auf, wanderte nach dem Krieg nach Irland aus und lebte zuletzt viele Jahre in Barcelona. Sie hat bisher zwei Erzählbände und einen Lyrikband veröffentlicht, für die sie mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet wurde. Bastašić ist Herausgeberin des spanischen Literaturmagazins Carn de cap und Mitbegründerin von 3+3 sisters, einem Projekt, das Autorinnen aus dem Balkan fördert. Mit ihrem Debütroman Fang den Hasen (Uhvati zeca) stand sie auf der Shortlist des NIN-Award, Serbiens renommiertesten Literaturpreis, und erhielt 2020 den Literaturpreis der Europäischen Union. Bastašić ist 2021 Writer in Residence in Zürich.

Rebekka Zeinzinger, geboren 1992, studierte in Wien Germanistik, Geschichte und Vergleichende Literaturwissenschaft. Sie lehrt an der Universität Sarajevo deutsche Sprache und Literatur und übersetzt aus dem Bosnischen, Kroatischen und Serbischen.

Preis: CHF 30.90
Sprache: Deutsch (aus dem Bosnischen von Rebekka Zeinzinger)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2021
Verlag: S. Fischer
ISBN: 978-3-10-397032-6
Masse: 336 S.

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