Hochzeitsflug

Willkommen in der Beytowelt! Was passiert, wenn tscherkessische Dorfrealität mit der Welt eines 18-jährigen schwulen Jungen kollidiert, erfährt die Leserschaft auf eindrückliche Art im Roman Hochzeitsflug von Yusuf Yesilöz. Das Konzept, anders zu lieben ist in der in Traditionen verwurzelten Welt des Dorfes nicht vorgesehen. Dafür wird Beyto, benannt nach seinem Grossvater, der wiederum den Namen von seinem Grossvater übernahm, und der für sich befunden hat, er würde nie eine Frau lieben können, von der fixen Idee der Eltern überrascht, die beschlossen hatten, ihn während der gemeinsamen Ferien im Heimatland mit der für ihn vorgesehen Braut – seiner Cousine – zu verheiraten. Widerstand ist zwecklos, und so nimmt alles seinen unheimlichen Lauf, weil Beyto es nicht über das Herz bringt, seine Familie zu enttäuschen und den Erwartungen nicht gerecht zu werden.

Gefangen von Traditionen bleibt Anderes undenkbar und die Möglichkeit, die eigene Welt zu bestimmen, unmöglich. Selten schafft es ein Buch, die Kollision zwischen modernem Leben und Tradition anschaulicher zu beschreiben und so bleiben wir als Lesende zwar einerseits etwas ratlos zurück. Wie soll kulturelle Verständigung funktionieren, wenn individuelle Wünsche gegenüber tradierten Wahrheiten so wenig Gewicht haben? Und doch: unbedingt lesen, da ausgezeichnet erzählt. Ebel Bertrand

Als Beyto mit seinen Eltern das Flugzeug besteigt, um seine Verwandten im tscherkessischen Dorf in der Türkei zu besuchen, freut er sich, die Freunde aus der Kindheit wieder zu sehen, obwohl ihm die Trennung von seinem heimlichen Geliebten Manuel nicht leicht fällt. Umso grösser ist sein Schock, als er überraschend mit seiner Cousine Sahar verheiratet wird. Völlig allein gelassen, stürzt Beyto in einen Strudel von Gefühlen. Die grosse Wut auf die Eltern lässt ihn jede Ehrfurcht vor ihnen vergessen, die kindliche Zuneigung zu Sahar, die er nie verloren hat, verwirrt ihn, die Angst, Manuel gegenüberzutreten, lähmt ihn. Beyto, selber noch fast ein Kind, erfährt einzig von seiner Lehrlingsbetreuerin Tania Unterstützung, und weg vom Dorf im Osten und von der Stadt im Westen, wo er seit vielen Jahren lebt, findet er langsam wieder etwas Halt.

Ironisch und humorvoll nimmt Yusuf Yeşilöz die Leserinnen und Leser mit in eine reiche Welt voller Geschichten, die in einem schmerzhaften Widerspruch steht zur grossen Einsamkeit des jungen Beyto.

Yusuf Yeşilöz, geboren 1964 in einem kurdischen Dorf in Mittelanatolien, kam 1987 in die Schweiz. Heute lebt er mit seiner Familie in Winterthur und arbeitet als freier Autor, Übersetzer und Filmemacher. Seine Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. 2020 kam Beyto von Gitta Gsell in die Kinos, die Verfilmung seines Romans Hochzeitsflug. Im Limmat Verlag sind sechs Bücher von Yusuf Yeşilöz erschienen, zuletzt Nelkenblatt.