David Grossman

Was Nina wusste

Die aufs engste miteinander vernetzte Geschichte von drei Frauen steht im Zentrum des Romans. Da ist Vera, die neunzigjährige Grossmutter, ihre Tochter Nina und deren Tochter Gili. Sie alle treffen sich anlässlich des neunzigsten Geburtstages von Vera im Kibbuz. Wir lernen die Geschichte dieser Familie aus der Sicht von Gili kennen. Als Skriptgirl schreibt sie das Atmosphärische, die Brüche und das nicht-Sichtbare hinter den Bildern auf. Vera ist als Witwe aus Ex-Jugoslawien nach Israel gekommen und hat dort den Witwer Tuvia geheiratet. Beide brachten Kinder mit in die Ehe, Nina und Rafael, der jüngste Sohn von Tuvia, bringen Gili auf die Welt. Mit grosser Intensität und Sensibilität blickt Grossman auf die Verknüpfungen und Barrieren, die zwischen diesem Quartett bestehen, die Qualen, die sie sich gegenseitig auferlegen und die unüberwindlich scheinen. Bis sie entscheiden, alle zusammen nach Kroatien zu fahren und dort gemeinsam die Gefängnisinsel Goli Otok zu besuchen, wo Vera während fast drei Jahren gefangen gehalten wurde. Die gemeinsame Reise macht klar, wie lebendig die erlebte Geschichte eines Menschen auch in den nachfolgenden Generationen bleibt. Auch wenn – oder gerade wenn – nicht darüber gesprochen wird.

Fast von der ersten Seite an hat mich der neue Roman von David Grossman in seinen Bann gezogen. In leichtem, humorvollem Ton bringt er einen dazu, sich auf die Familiengeschichte einzulassen, den vier ProtagonistInnen sehr nahe zu kommen, ihre Qualen, aber auch ihre Freuden erahnen zu können. Die Geschichte von Vera, die auf der realen Geschichte von Eva Panic-Nahir beruht, ist an und für sich schon faszinierend. Sie kann auch in einem Dokumentarfilm über sie, ihre Tochter und ihre Enkelin, die gemeinsam nach Goli Otok gefahren sind, um die Vergangenheit abzuschütteln, nachgeschaut werden. Dies ist umso interessanter, als dann auch die Dramaturgie von Grossman klar zutage tritt, sein liebevolles Interesse an den einzelnen Personen und insbesondere sein Fokus auf dieses Fortleben von Ungesagtem in den folgenden Generationen. cn

Klappentext:

Drei eigenwillige Frauen stehen im Mittelpunkt: Vera, 90, ihre Tochter Nina und ihre Enkelin Gili, 39. Gili ist Skriptgirl und Filmemacherin; sie pflegt alles aufzuschreiben, was ihr bei der Recherche und beim Dreh durch den Kopf geht. An Veras rundem Geburtstag, der im Kibbuz gross gefeiert wird, beschliesst die junge Frau, einen Film über ihre Grossmutter zu machen und mit ihr und Nina nach Kroatien, auf die frühere Gefängnisinsel Goli Otok zu reisen. Dort soll Vera ihre Lebensgeschichte endlich einmal vollständig erzählen. Was genau ist damals geschehen, als sie von der jugoslawischen Geheimpolizei unter Tito verhaftet wurde? Und warum war sie bereit, ihre sechseinhalbjährige Tochter wegzugeben und ins Lager zu gehen, anstatt sich durch ein Geständnis freizukaufen?

Was Nina wusste beruht auf realen Ereignissen. Eva Panic-Nahir hat David Grossman ihre Lebensgeschichte selbst erzählt und ihn zur Figur der Vera inspiriert. Grossmans psychologische Einsicht und literarische Meisterschaft machen daraus einen fesselnden Roman, einzigartig und universell zugleich, spannend und ergreifend in seiner grossen Menschlichkeit.

Über die Autorin / über den Autor:

David Grossman, 1954 in Jerusalem geboren, gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern der Gegenwart. 2008 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis, 2010 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 2017 den internationalen Man-Booker-Preis für seinen Roman Kommt ein Pferd in die Bar (2016). Bei Hanser erschien zuletzt Eine Taube erschiessen (Reden und Essays, 2018).

Anne Birkenhauer, 1961 geboren, studierte Germanistik und Judaistik und lebt seit 1989 in Israel. Sie übersetzte u.a. Aharon Appelfeld, Chaim Be'er, Daniella Carmi, Dan Pagis und Yaakov Shabtai.

Preis: CHF 20.50
Sprache: Deutsch (aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer)
Art: Taschenbuch
Erschienen: 2022 (2019)
Verlag: dtv
ISBN: 978-3-423-14827-6
Masse: 351 S.

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