Alexandros Papadiamantis

Die Mörderin

Die Insel Skiathos, nicht weit vom griechischen Festland entfernt in der nordöstlichen Ägäis gelegen, bildet den Hintergrund und die Welt für diesen Roman. Die Handlung spielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Armut auf der Insel ist gross, der moralische Kodex, der das Leben der Menschen bestimmt, sehr streng. Die sechzigjährige Witwe Hadoúla, genannt Frangojannoú, beklagt das Schicksal der Frauen. Zuerst sind sie Töchter, die ihren Eltern gehorchen müssen, danach werden sie zu Sklavinnen ihrer Ehemänner und ihrer Kinder, für die sie sorgen müssen. Insbesondere die Mitgift, welche die Eltern für ihre Töchter aufbringen müssen, ist eine Last, die nur äusserst schwer zu stemmen ist. Die Söhne gehen oft in die Fremde, arbeiten auf Schiffen oder gehen nach Amerika und lassen nie mehr etwas von sich hören. Frangojannoú kann dieses Schicksal der Frauen nicht mehr ertragen – sie wird zur Erlöserin, der die kleinen Mädchen und deren Eltern vor einem schweren Schicksal bewahren will, und so zur Mörderin. 

Als Lesende sind wir ganz nahe bei Frangojannoú, begleiten sie bei ihren häuslichen Tätigkeiten und beim Sammeln von Heilkräutern, die sie als Kräuterfrau und gefragte Heilerin und Hebamme in den entlegensten Tälern der Insel sammelt. Und wir begleiten sie auch bei ihren Entscheiden, die zum Tode der Mädchen führen. So ist dieser Roman einerseits ein soziales Sittenbild der Inselgemeinschaft und insbesondere der Stellung der Frau im 19. Jahrhundert, andererseits aber auch eine moralische und religiöse Parabel zur Verzweiflung, zu der die sozialen Verhältnisse führen. So steht insbesondere die Mitgift im Zentrum des Romans: die Mitgift war in Griechenland gesetzlich vorgeschrieben und wurde erst 1983 staatlich abgeschafft. Die orthodoxe Kirche hat sich aber schon lange gegen dieses Gesetzt gestellt. Dieser Widerspruch spiegelt sich im Roman wider: die Mörderin, die sich vor Gott als Erlöserin versteht, die aber auch begreift, dass sie eine Mörderin ist und vor dem Gesetz fliehen muss. Die letztendlich von der Natur selber bestraft wird, auf der Flucht vor der gesetzlichen Gewalt, noch nicht angekommen bei der religiösen Erlösung. Ein Roman, der verstört und irritiert – sehr lesenswert! cn

Klappentext:

Papadiamantis' bekannteste Erzählung erschien erstmals 1903 als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift Panathínäa. Auf der ägäischen Insel Skiathos wird eine vom Alter gezeichnete Hebamme zur Mörderin an mehreren Mädchen, um diesen ein zukünftiges Leben in Abhängigkeit und Sklaverei zu ersparen. Papadiamantis' sozialkritischer Blick auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft seiner Zeit sowie die herausragend sprachlich-stilistische Form des Textes machen Die Mörderin zu einem der wichtigsten Werke der neugriechischen Erzählliteratur.

Über die Autorin / über den Autor:

Alexandros Papadiamantis (1851-1911), einziger Sohn eines orthodoxen Popen auf der Insel Skiathos, entzog sich seiner Familie und den väterlichen Wünschen durch ein Studium in Athen, das er allerdings nie abschloss. In der Hauptstadt überlebte er durch Übersetzungen und als Privatlehrer. Ab 1879 publizierte er auch eigene Texte und hatte mit der Erzählung Das Zigeunermädchen (1884) einen ersten Achtungserfolg, ohne dass sich seine wirtschaftliche Situation dadurch veränderte. Kirchensänger bei nächtlichen Gottesdiensten, sass er tagsüber oft in einem ärmlichen Krämerladen und gab nichts auf seine wachsende Bekanntheit. 1908 kehrte er Athen den Rücken und verbrachte die letzten Lebensjahre alkohol- und rheumakrank auf seiner Heimatinsel. Dort starb er an einem Januarmorgen 1911 psalmensingend an einer Lungenentzündung.

Preis: CHF 26.90
Sprache: Deutsch (aus dem Griechischen von Andrea Schellinger)
Art: Broschiertes Buch
Erschienen: 2015 (1903)
Verlag: Elfenbein
ISBN: 978-3-941184-50-3
Reihe: Kleine Griechische Bibliothek
Masse: 167 S.

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