Bachtyar Ali

Der letzte Granatapfel

Selten gelingt es einem Buch, auf so lebensnahe und differenzierte Art auszuloten, was Krieg und Gewalt in den Seelen der Menschen anrichten und wie unterschiedlich diese damit umgehen. Zugleich verzaubert der Text durch seine Poesie und sinnliche Sprache, überzeugt in seiner tiefen Menschlichkeit. Mit dem Roman Der letzte Granatapfel können deutschsprachige Leser/innen einen grossartigen Autor entdecken, der seit Mitte der 90er Jahren in Deutschland lebt und in seiner ursprünglichen Heimat, der autonomen Region Kurdistan im Irak, als einer der bekanntesten zeitgenössischen Schriftsteller gilt.

Der Roman handelt von Muzafari Subhdam, einem ehemaligen hochrangigen Peschmerga-Kämpfer. Er rettet Revolutionsführer Jakobi Snaubers das Leben und gerät in eine 21 Jahre dauernde Gefangenschaft mitten in der Wüste. Nach seiner Befreiung lässt ihn Snauber, unterdessen etablierter Machthaber, der in größtem Luxus lebt, in ein abgeschiedenes Schloss bringen. Dort will er mit seinem ehemaligen Kampfgefährten einen Zufluchtsort der Reinheit, Schönheit und Weisheit schaffen, weit weg von Schmutz und Schrecken, die der Krieg gegen das Regime von Saddam Hussein und der anschliessende Bürgerkrieg im kurdischen Nordirak hinterlassen haben, vom Elend des Volkes, an dem er mitschuldig ist. Doch Muzafari flieht aus diesem grünen Gefängnis, um seinen Sohn Saryasi Subdham zu suchen, der kurz vor seiner Gefangennahme zur Welt kam. Er muss feststellen, dass sein Land, das er sich im Gefängnis als Paradies vorstellte, zur Hölle geworden ist, zehntausende von Menschen niedergemetzelt und Städte zerstört wurden, Blumenarten und Vögel verschwunden sind. Er begegnet aber auch aussergewöhnlich mutigen und liebenswerten Menschen, Mohamadi Glasherz etwa dessen Augen so klar sind, dass keine Geheimnisse darin Platz haben und dessen gläsernes Herz an einer unerfüllten Liebe zerbricht; oder den beiden wundersamen weissen Schwestern, die sich weigern zu heiraten und ihr Leben dem Unterrichten armer Dorfkinder widmen. Schliesslich zeigt sich, dass es drei Saryasi Subdhan gibt, die alle einen gläsernen Granatapfel besitzen. Der grosse Saryasi, der geachtete Anführer der Strassenverkäufer und Karrenschlepper auf dem Markt, kommt bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei ums Leben. Der zweite Saryasi, Soldat in wechselnden Diensten, der sich selbst als Menschentöter bezeichnet, sitzt im Gefängnis. Der dritte Saryasi ist das bedauernswerte Opfer eines Brandes, ein entstellter Krüppel, der weder richtig sprechen noch gehen kann.

Muzafari stellt sein Leben in den Dienst des dritten Saryasi. Als dieser von einer ausländischen Organisation zur Behandlung nach England geschickt wird, besteigt er ein Flüchtlingsboot gegen Westen, um ihm nahe zu sein. Wir gehen verschiedene Wege, sagt er zu Jakobi. Wie die verkrüppelten Kinder sollen auch die Erinnerungen nicht weggesperrt werden, sondern ans Tageslicht treten. Elisa Fuchs

Klappentext:

An Bord eines Bootes, das ihn zusammen mit anderen Flüchtlingen in den Westen bringen soll, erzählt Muzafari Subhdam seine Geschichte. Selbst ein hochrangiger Peschmerga, rettete er dem legendären kurdischen Revolutionsführer einst das Leben, als sie von Truppen des Regimes umstellt waren. Er aber geriet in 21-jährige Gefangenschaft, mitten in der Wüste. Sein ehemaliger Anführer Jakobi Snauber steht tief in seiner Schuld. Mithilfe eines Gefangenenaustausch lässt er seinen Freund aus der Gefangenschaft zurückholen. Er bringt ihn in sein Schloss, weitab der zerstörten kurdischen Regionen und des gebeutelten Volkes. Muzafari Subhdam soll nichts erfahren von den Verwüstungen, die der Diktator und auch die zwei kurdischen Grossparteien angerichtet haben, von Flucht und Tod so vieler Menschen.

Doch Muzafari Subhdam begibt sich auf eine Reise durch das, was aus seinem Land geworden ist. Eine Reise durch Geschichten, Geheimnisse und zu Personen, die ihm dabei helfen, seinen verschollenen Sohn zu finden. Eine Reise, die ihn schliesslich auf den Weg führt, den Tausende schon vor ihm genommen haben: übers Mittelmeer in den Westen.

Über die Autorin / über den Autor:

Bachtyar Ali wurde 1960 in Sulaimaniya (Nordirak) geboren. 1983 geriet er durch sein Engagement in den Studentenprotesten in Konflikt mit der Diktatur Saddam Husseins. Er brach sein Geologiestudium ab, um sich der Poesie zu widmen. Sein erster Gedichtband Gunah w Krnaval (Sünde und Karneval) erschien 1992. Sein Werk umfasst Romane, Gedichte und Essays. Er lebt seit Mitte der Neunzigerjahre in Deutschland.

Preis: CHF 19.50
Sprache: Deutsch (aus dem Kurdischen [Sorani] von Ute Cantera-Lang und Rawezh Salim)
Art: Taschenbuch
Erschienen: 2017 (2002)
Verlag: Unionsverlag
ISBN: 978-3-293-20769-1
Masse: 344 S.

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