Mustafa Khalifa

Das Schneckenhaus

Der Ich-Erzähler kommt nach sechs Jahren Studium in Paris zurück in sein Land. Syrien, auch wenn es im Text praktisch nicht benannt wird. Am Flughafen wird er verhaftet und für dreizehn Jahre unter unsäglichen Bedingungen in ein Gefängnis gesteckt. Ohne dass er wüsste weshalb, ohne Gerichtsverfahren und ohne irgendeine Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit seiner Familie. Die ersten zehn Jahre verbringt er vollkommen isoliert in dem Schlafraum mit einigen hundert anderen Gefangenen. Mit ihm als Christ und Atheist wollen die anderen Gefangenen, die wegen religiöser Aktivitäten gefangen gehalten werden, nichts zu tun haben. Nach zehn Jahren findet der Ich-Erzähler dann einen Freund. Wird durch diese Freundschaft auch wieder ein wenig Mensch. Das Menschsein wird den Gefangenen durch die willkürlichen Folterungen und die ständige Gewalt systematisch ausgetrieben.

So hat sich der Ich-Erzähler eine Schale aufgebaut, hinter die er sich zurückzieht. Und von der aus er seine Mitgefangenen und die Wärter beobachtet. So erzählt er von den Folterungen und Misshandlungen, aber auch von den einzelnen Gefangenen und den Beziehungen und der Dynamik in diesem zum Universum gewordenen Schlafsaal. Als er nach dreizehn Jahren endlich freigelassen wird, ist es unmöglich geworden, das Leben dort weiterzuführen, wo es unterbrochen worden ist. 

Eine sehr schmerzliche Lektüre. Aber eine notwendige Lektüre. Sie macht klar, wie wichtig Literatur ist, um vermitteln zu können, was Menschen erleiden. Sie kann eine leise Ahnung davon herbeiführen, was es bedeutet, sich auf die existentiellen Themen reduziert zu sehen. cn

Klappentext:

Jemand musste ihn verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Abends verhaftet. Der junge syrische Absolvent der Pariser Filmhochschule kommt nach sechs Jahren in Frankreich am Flughafen von Damaskus an und wird bei der Einreise festgenommen und in eine Abteilung des Geheimdiensts gebracht, wo er sofort gefoltert wird. Das geschieht Anfang der 1980er Jahre und sollte die erste Station einer dreizehnjährigen Reise durch die Hölle werden. Man wirft dem jungen Mann vor, der verbotenen Muslimbrüderschaft anzugehören, obwohl er getaufter Christ ist und Atheist dazu. Es gibt weder eine Anklage noch eine Gerichtsverhandlung. In dem schlimmsten aller Gefängnisse, dem Wüstengefängnis bei der Oasenstadt Palmyra (arabisch Tadmur), gerät er zwischen die Fronten der dort inhaftierten Muslimbrüder, die ihn als Ungläubigen töten wollen, und den Wärtern, die ihn schlagen und foltern. Er überlebt, indem er sich in sich selbst wie in ein Schneckenhaus zurückzieht und durch ein Loch in der Wand die Vorgänge im Gefängnishof beobachtet. Er führt ein Gedankentagebuch, das er nach seiner Freilassung zu Papier bringt, um den Terror zu dokumentieren und die Erinnerung an die Gefangenen und Ermordeten wachzuhalten.

Hier eine Rezension von Angela Schader, NZZ.

Über die Autorin / über den Autor:

Mustafa Khalifa hat aus eigenen Erfahrungen heraus geschrieben, er war von 1982 bis 1994 ohne Anklage oder Prozess in diversen syrischen Gefängnissen inhaftiert, die meiste Zeit in Tadmur. Sein Roman ist als Tagebuch erzählt, allerdings ohne Jahreszahlen und ohne Ortsnamen. Ein Bericht aus der Hölle, kühl und distanziert, so schmerzhaft wie notwendig. Der Text erschien auf arabisch zuerst im Internet. Er spielte eine wesentliche Rolle beim Beginn der syrischen Revolution. 2007 wurde er auf französisch publiziert, ein Jahr später auf arabisch.

Khalifa wurde 1948 in Dscharabulus, Syrien, geboren und wuchs in Aleppo auf. Schon früh engagierte er sich politisch und wurde deshalb zweimal verhaftet. Er studierte in Frankreich Filmregie und wurde nach seiner Rückkehr am Flughafen von Damaskus festgenommen. 2006 konnte er in die Vereinigten Arabischen Emirate ausreisen; von dort gelangte er nach Frankreich. Sein Roman erschien bereits auf französisch, englisch, spanisch, italienisch und norwegisch.

Larissa Bender übersetzt aus dem Arabischen und ist Herausgeberin des Bandes Innenansichten aus Syrien. 2018 erhielt sie für ihre Übersetzertätigkeit und ihr Engagement im deutsch-arabischen Kulturaustausch das Bundesverdienstkreuz. Sie lebt und arbeitet in Köln. Im Weidle Verlag erschien ihre Übersetzung von Niroz Malek, Der Spaziergänger von Aleppo.

Preis: CHF 32.50
Sprache: Deutsch (aus dem Arabischen von Larissa Bender)
Art: Broschiertes Buch
Erschienen: 2019 (2006)
Verlag: Weidle
ISBN: 978-3-938803-92-9
Masse: 300 S.

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