Giulia Caminito

Das grosse A

In ihrem Debütroman Das grosse A erzählt Giulia Caminito die Geschichte Giadas, die während des Zweiten Weltkrieges bei ihrer Tante aufwächst, in deren Obhut sie ihre Mutter zurückgelassen hat, als sie sich in die abessinischen Kolonien Italiens aufmachte. Von der Tante als ungeliebte Bürde behandelt, erträumt sich Giada ein Leben mit der Mutter im grossen A. Fern von der Tante, fern vom Krieg. Als ihre Mutter sie dann tatsächlich nach Eritrea kommen lässt, geht ihr Traum in Erfüllung, der dann aber in der Realität ein wenig anders aussieht. Es ist heiss, die Bar der Mutter liegt mitten in der Wüste, viel Geld haben sie nicht. 

Caminito erzählt das Leben Giadas, wie es sich in der fernen Kolonie abgespielt hat, die schwierige Ehe mit Giacomo, die Beziehung zu ihrer Mutter, das Heranwachsen ihres Sohnes, das Tanzen, Spielen und Feiern der italienischen Expat-Gemeinschaft. Bei dieser Erzählung bleibt sie konsequent bei einem unpolitischen Blick. Giada war kein politischer Mensch, es interessierte sie nicht sehr, in was für ein Land sie gekommen war. Sie interessierten Menschen und sie war unvoreingenommen in ihren Freundschaften. So erfahren wir viel über das Alltagsleben der Italiener:innen in den Kolonien und auch nach dem Ende der Kolonie in Äthiopien, aber kaum etwas über die politischen Kontexte. 

So geht Caminito auch in ihrer Prosa vor – radikal subjektiv, ausschliesslich bemüht den Blick Giadas einzufangen. Und so konzentriert sich auch die Geschichte ausschliesslich auf die Entwicklung Giadas. Und auf das, als was sich ihr grosses A dann wirklich entpuppt. 

Mit widerspenstigen Sätzen, eigenwilligen Bildern bringt sie uns Giada sehr nahe. Und so nahe wir ihr kommen, so unberechenbar bleibt sie in ihrem Schwanken zwischen Freiheit und Abhängigkeit, zwischen Sicherheit und ausgelassenem Spiel. Sehr lesenswert! cn

Klappentext:

Die Lombardei im Zweiten Weltkrieg: Die Menschen suchen Zuflucht vor ständigen Bombenangriffen, deutsche Besatzer jagen Partisanen, das Essen wird rationiert. Die 13-jährige Giada wohnt bei ihrer Tante, einer gläubigen Faschistin, Gewalt und Entbehrung prägen den Alltag. Also träumt sich Giada fort, träumt vom "Grossen A": Afrika, wo ihre Mutter Adele in den italienischen Kolonien angeblich ein abenteuerliches, unabhängiges Leben führt.

Und wirklich: Nach Kriegsende holt die Mutter sie zu sich nach Eritrea. Doch die grossen Erwartungen werden enttäuscht: Dauerhitze und die Arbeit in Adeles Bar am Rand der Wüste haben so gar nichts Märchenhaftes an sich. Und sogar der Kaffee schmeckt nach Salzwasser. Eritrea ist auf dem Weg in die Unabhängigkeit, die verbliebenen Kolonisten ringen um eine Zukunft unter den neuen Machtverhältnissen. Und die schillernde Mutter erstickt jeden Freiheitsdrang, bis Giada den charmanten, aber undurchsichtigen Giacomo kennenlernt.

Atmosphärisch und mit störrischer Poesie erzählt Giulia Caminito von zwei widerspenstigen, willensstarken Frauen, die auf sehr unterschiedliche Weise zur Selbstbestimmtheit finden.

Über die Autorin / über den Autor:

Giulia Caminito, 1988 in Rom geboren, ist in Anguillara Sabazia am Lago di Bracciano aufgewachsen. Sie hat politische Philosophie studiert und drei Romane verfasst, darunter der 2020 bei Wagenbach erschienene Ein Tag wird kommen. Ihr dritter Roman Das Wasser des Sees ist niemals süss stand 2021 auf der Shortlist des Premio Strega, gewann den alternativen Premio Strega Off und den renommierten Publikumspreis Premio Campiello. Der Roman wird in über zwanzig Sprachen übersetzt. Caminito arbeitet als Herausgeberin und Lektorin, sie lebt in Rom.

Preis: CHF 33.50
Sprache: Deutsch (aus dem Italienischen von Barbara Kleiner)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2024 (2016)
Verlag: Wagenbach
ISBN: 978-3-8031-3369-4
Masse: 272 S.

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