Fernando Aramburu

Patria

20 Jahre nach der Ermordung ihres Ehemanns kehrt die Witwe Bittori in das baskische Dorf zurück, in dem sie mit ihrer Familie Jahrzehnte lang gelebt hatte. Sie wagt sich zurück, weil sie endlich, vor ihrem eigenen Tod, wissen möchte, ob der Verdacht zutrifft: dass der Sohn ihrer früheren Freundin der Mörder ist. Die Witwe will keine Rache, sie will eine Antwort. Aber man begegnet ihr mit Feindseligkeit, Ablehnung, Gesprächsverweigerung. Der Priester bittet sie gar, dem Frieden zuliebe auf die Besuche zu verzichten. Mit Frieden meint er diese dicke Schicht aus Schweigen, die all den Dreck, die Lügen, Verleumdungen und Verletzungen zudeckt. 

Die Witwe bleibt hartnäckig, und langsam gelingt es ihr, die Starre aufzuweichen: Da ein Kopfnicken, dort ein Gruss, und am Ende sogar eine Annäherung, wie sie am Anfang völlig undenkbar gewesen ist. So undenkbar wie die Tatsache, dass die Familien sich eines Tages spinnefeind gegenüberstehen.

Denn man ist wirklich eng, bevor sich der ETA-Terror ins Dorf zwängt. Wie eine Bugwelle schiebt er alle vor sich her. Der Ort ist zu klein, um ausweichen zu können. Ein dumpfer Nationalismus kocht auf. Wortgewaltige und gewaltverherrlichende Parolen tauchen an Mauern auf, verwirren die Köpfe. Besonders anfällig sind die Jungen, die sich ihren Platz im Leben noch suchen müssen. Zuerst schiessen sie Steine, dann Molotowcocktails, dann Kugeln. Was als Mutprobe beginnt, endet mit Mord auf Befehl. Im Dorf nützt mancher den moralischen Sumpf des Nationalismus, um seinen persönlichen Lebensfrust zu entsorgen. Das spätere Mordopfer eignet sich da ganz gut. Denn der Transportunternehmer ist ein wenig zu Wohlstand gekommen, hat es zu etwas gebracht, was ihm nicht alle gönnen. Und obwohl er oft anderen unter die Arme greift, obwohl er Euskara  spricht und einer der Ihren ist, wird er angeprangert, isoliert und schliesslich kaltgemacht. War wirklich der  Sohn seines besten Freundes der Täter, wie das Gerücht sagt? Man erfährt es nach 700 Seiten, auf denen die Spannung anhält bis zuletzt.

Fernando Aramburu erzählt retrospektiv, in grossen Sprüngen durch Zeit und Raum. Roter Faden sind die täglichen Dorfbesuche der Witwe aus San Sebastián. Er lässt die verschiedenen Familienmitglieder zu Wort kommen, die nicht nur ihre eigene Sicht der Dinge, sondern auch ihr eigenes Schicksal haben: frühe Heirat, Beziehungsprobleme, Arbeitslosigkeit, Homosexualität, Scheidung, Krankheit, Invalidität. Und immer wieder blitzt die gute alte Zeit auf, als die beiden Ehemänner sich am Wochenende gemeinsam auf dem Rennrad vergnügten, und als die Ehefrauen, seit Kindsbeinen zusammen, fast gleichzeitig heiraten, Kinder gebären, benachbart bleiben. Doch dann schliesst sich einer der Söhne der ETA an, haut ab nach Frankreich, wird erwischt, sitzt jetzt im Gefängnis. Und eine der Töchter flüchtet sich in eine andere Stadt, weit weg vom Baskenland,  geht nicht einmal zur Beerdigung ihres ermordeten Vaters, weil sie nicht von den Medien als Terroropfertochter gebrandmarkt werden möchte. Die so unterschiedlichen Sichtweisen der Protagonisten formen ein Kaleidoskop, das immer wieder andere Muster und Farben dieser Familien, dieser Gesellschaft, dieses Dorfes zeigt. Das vielleicht erschreckendste Fazit: Es sind letztlich ganz normale Menschen in einem ganz normalen Ort, die sich unter dem Druck von aussen so verformt haben. Was hier geschehen ist, könnte überall passieren.

Patria ist in Spanien ein grosser Bestseller. Das mag mit dem aktuell grassierenden Nationalismus vor allem in Katalonien zusammenhängen. Aber man muss nicht durch die politische Brille lesen. Der Roman ist auch einfach ein tolles Stück Literatur, das Willi Zurbrüggen hervorragend ins Deutsche übertragen hat. Maya Doetzkies

Klappentext:

El día en que ETA anuncia el abandono de las armas, Bittori se dirige al cementerio para contarle a la tumba de su marido el Txato, asesinado por los terroristas, que ha decidido volver a la casa donde vivieron. ¿Podrá convivir con quienes la acosaron antes y después del atantado que trastocó su vida y la de su familia? ¿Podrá saber quién fue el encapuchado que un día lluvioso mató a su marido, cuando volvía de su empresa de transportes? Por más que llegue a escondidas, la presencia de Bittori alterará la falsa tranquilidad del pueblo, sobre todo de su vecina Miren, amiga íntima en otro tiempo, y madre de Joxe Mari, un terrorista encarcelado y sospechoso de los peores temores de Bittori. ¿Qué pasó entre esas dos mujeres? ¿Qué ha envenenado la vida de sus hijos y sus maridos, tan unidos en el pasado? Con sus desgarros disimulados y sus convicciones inquebrantables, con sus heridas y sus valentías, la historia incandescente de sus vidas antes y después del cráter que fue la muerte del Txato, nos habla de la imposibilidad de olvidar y de la necesidad de perdón en una comunidad rota por el fanatismo político.

Über die Autorin / über den Autor:

Fernando Aramburu (San Sebastián, 1959) es licenciado en filología por la Universidad de Zaragoza y desde 1985 reside en Alemania. Fue miembro del Grupo CLOC de Arte y Desarte. Considerado ya como uno de los narradores más destacados en lengua española, es autor de las novelas Fuegos con limón (1996), Los ojos vacíos (2000), que junto con Bami sin sombra (2005) y La gran Marivián (2013) conforma la "Trilogía de Antíbula", El trompetista del Utopía (2003), Viaje con Clara por Alemania (2010), Años lentos (2012, VII Premio Tusquets Editores de Novela y Premio de los Libreros de Madrid) y Ávidas pretensiones (Premio Biblioteca Breve 2014). Como cuentista ha publicado asimismo los volúmenes Los peces de la amargura (2006, XI Premio Mario Vargas Llosa NH, IV Premio Dulce Chacón y Premio Real Academia Española 2008) y El vigilante del fiordo (2011). Diez años después de Los peces de la amargura, Fernando Aramburu nos entrega su novela definitiva. Una historia imprescindicble, extremadamente valiente y conmovedora, que reclama ser leída por todos. Uno de los libros más impresionantes de la literatura española reciente.

Preis: CHF 31.90
Sprache: Spanisch
Art: Taschenbuch
Erschienen: 2019 (2016)
Verlag: Tusquets
ISBN: 978-84-9066-731-6
Masse: 646 S.

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