Ramón José Sender

Requiem für einen spanischen Landmann

Der junge, im ganzen Dorf beliebte Bauer Paco del Molino ist erschossen worden. Sein einziger tödlicher Fehler war es, an Gesetz und Gerechtigkeit zu glauben und danach zu handeln. Schon als Kind wollte er dem Hund beibringen, dass die Katze ebenfalls ein Recht auf Leben hat. Das sah der Hund nicht ein, und im Spanien der 1930er Jahre sahen das viele Hunde nicht ein. Und darum musste Paco sterben. An dieses unglückliche Ende denkt der Pfarrer Millán, während er eine Totenmesse für ihn vorbereitet. Als sei es gestern gewesen, denkt Mosén Millán, als er ihn getauft, zum Messdiener ernannt und auf seiner Hochzeit Wein getrunken hatte.

Auf seiner Hochzeit hatte Paco gehört, der König sei aus Spanien geflohen und das Blatt werde sich nun wenden. Und er glaubte, auch in seinem armseligen Dorf würden neue Zeiten anbrechen. Also trat Paco als neu gewählter Gemeinderat vor den Verwalter des Grossgrundbesitzers, eines Herzogs, und erklärte ihm, der herrschaftliche Grundbesitz sei abgeschafft worden und gehöre nun der Gemeinde; der Erlös aus der Verpachtung der Weiden werde den Dorfbewohnern zugutekommen, vor allem denen, die in Höhlen hausten und nicht einmal im Winter Brennholz hätten.

Dieser Paco! Ein Träumer. Musste man nicht lachen über ihn, der nicht einmal wusste, dass Madrid weit weg, der Herzog und Grossgrundbesitzer aber sehr nah war, obwohl der noch nie einen Fuss ins Dorf gesetzt hatte? Und der nicht respektierte, dass auch im neuen Spanien die alten Regeln galten, die besagten, dass kein Gesetz über den Mächtigen aus Adel, Armee und Kirche stünde? Die uralte, arrogante Macht mobilisierte Schlägerbanden, die alsbald das Dorf zu terrorisieren begannen. Paco musste fliehen und sich in den Bergen verstecken, doch er wurde verraten. Und zwar ausgerechnet vom Pfarrer, der bei seiner Taufe Rebhühner gegessen und auf seiner Hochzeit den Tanzenden zugeschaut hatte. Verraten von diesem Pfarrer, der seit 51 Jahren in der Kirche die immer gleichen Gebete gesprochen hatte. Man hatte Mosén Millán versprochen, Paco vor ein Gericht zu stellen, damit ihm Gerechtigkeit widerfahren werde.

Dann krachten Schüsse. Darauf Stille.

Nun, ein Jahr später, drängt es den Pfarrer, diesem jungen Landmann eine Totenmesse zu lesen. In der Sakristei wartet er auf die Gemeinde, sitzt schwer auf einem Stuhl, mustert seine kaputten Schuhe; auch der Schuster war von den Schergen ermordet worden. Der Pfarrer hört wieder die Schüsse von damals, horcht hinein in die Kirche, ob jemand komme. Aber Stille.

Im Spanien der dreissiger Jahre stirbt es sich leicht. Paco ist bei weitem nicht das einzige Opfer. Aber der Autor Ramón José Sender erzählt seine Geschichte so anrührend, unsentimental und mit spannungsvoller Intensität, dass man dieses Paco-Leben stellvertretend für viele nehmen möchte. Ein kurzes Leben war es, eine schmale Erzählung ist es geworden, keine hundert Seiten lang, aber sehr fesselnd und in einer Sprache so kräftig wie der Händedruck eines Bergbauern, belebt von Menschen so würzig wie Graubrot. Man liest und weint und meint, die Pferde, den Sonnenplatz, den Hochzeitswein, den Messweihrauch zu riechen. Dass der Autor und Journalist Sender, ein Republikaner, mit der Kirche ins Gericht geht, wundert nicht. Allerdings stellt er die Institution mit ihrer Doppelmoral an den Pranger, belässt dem alten Priester aber Menschlichkeit; man wird ihn beim Lesen gleichzeitig verachten für seinen Verrat und bedauern dafür, dass er im Schraubstock dieser Kirche feststeckt. Seit 51 Jahren die gleichen Gebete, man bedenke! Und das vor einer Gemeinde, die ihm nur halbwegs glaubt und sicherheitshalber auch die alten, nichtchristlichen Bräuche pflegt.

In Spanien durfte das 1952 geschriebene Werk erst 1974 erscheinen, wie man dem lesenswerten Nachwort des Spanienkenners und Autors Erich Hackl entnimmt. Auf Deutsch ist es (nach einer früheren Suhrkamp-Ausgabe) 2018 bei Diogenes erschienen in einer neuen, sorgfältigen Übersetzung von Thomas Brovot. Eine Lektüre, die sehr wohl auch heute noch zu lesen ist, denn obwohl alles ewig her ist: angegilbt ist nichts. Maya Doetzkies

 

Klappentext:

Paco el del Molino kennt nichts als das kleine spanische Dorf, in dem er geboren wurde. Sein ganzes Leben hat er dort verbracht, war Messdiener und später im Gemeinderat. Die Verhältnisse waren, wie sie waren. Bis in der fernen Hauptstadt die Monarchie ins Wanken gerät. Warum soll auf dem Land der Herzog weiter Abgaben erhalten? Schon immer hatte Paco Mitleid mit den Armen und Schwachen. Da legt sich der Schatten der señoritos über das Dorf. Der Priester Mosén Millán gerät in einen Zwiespalt und Paco in die Hände der Häscher. Ein Jahr später soll eine Gedenkmesse für Paco abgehalten werden. Wer wagt es, in der Kirche zu erscheinen? Requiem für einen spanischen Landmann lässt den Leser hautnah jene Spannung spüren, die sich schliesslich im Spanischen Bürgerkrieg entlud.

Über die Autorin / über den Autor:

Ramón José Sender wurde 1901 in Aragonien geboren. Er war Journalist und Autor und nahm auf der Seite der Republikaner am Spanischen Bürgerkrieg teil. Über die Hälfte seines Lebens hat er im Exil verbracht: in Frankreich, Mexiko und seit 1942 in Amerika, wo er Literatur unterrichtete und 1982 in San Diego, Kalifornien, starb.

Preis: CHF 13.00
Sprache: Deutsch (aus dem Spanischen von Thomas Brovot)
Art: Taschenbuch
Erschienen: 2020 (1953)
Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-24520-2
Masse: 120 S.

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