Grossartig, wie Elif Shafak die Protagonist:innen dieses gut recherchierten Romans, die Jahrhunderte bzw. Jahrzehnte trennen, miteinander verknüpft bzw. aufzeigt, wie sie zusammenhängen oder einander bedingen. Den roten Faden bildet ein Wassertropfen, der zunächst 700 Jahre v. Chr. in der mesopotamischen Metropole Ninive (heute Mossul, Irak) im Bart des zwar sehr belesenen, jedoch brutalen assyrischen Königs hängenbleibt und Zeuge der unfassbaren Grausamkeit dieses Mannes wird. Diese Tat ist ein Sinnbild für die Zerstörung von Wissen. Im Gegensatz zu den Menschen, die immer wieder vergessen, erinnert sich das Wasser. Der Tropfen verdunstet, kehrt auf die Erde zurück, verdunstet erneut und folgt diesem Ablauf, bis er schliesslich im 19. Jahrhundert als Schneeflocke in London in den Mund des Kleinkindes Arthur Smith fällt und von da an diesen auf seinem unglaublichen Leben begleitet. Hier muss erwähnt werden, dass Arthur Smith auf der Biographie des Assyriologen George Smith basiert, welcher den Gilgamesh Epos entdeckte und übersetzte. Er starb 1876 in Aleppo, Syrien. Der Tropfen wechselt danach weiterhin kontinuierlich seinen Aggregatszustand, um dann im Jahre 2014 in Mossul die Zunge der verdurstenden Jesidin Nerin zu befeuchten und wir ihre Geschichte kennenlernen, um dann der aus dem Irak stammenden Hydrologin Zaleekhah 2018 in England zu begegnen. Geschichten um Geschichten, die alle um das Wesen und das Wissen des Wassers kreisen. Faszinierend, informativ und packend, wie Shafak Fiktion und Fakten kombiniert. Unbedingt lesen. ap
Klappentext:Narin ist neun, als in dem ezidischen Dorf am Tigris Planierraupen auftauchen. Ihre Heimat soll einem Dammbauprojekt der türkischen Regierung weichen. Die Grossmutter, fest entschlossen, die Enkelin an einem ungestörten Ort taufen zu lassen, bereitet alles für die Reise ins heilige Lalisch-Tal vor. Kurz vor Aufbruch stösst Narin auf das Grab eines gewissen Arthur – direkt neben dem ihrer Ururgrossmutter Leila. Wer war dieser "König der Abwasserkanäle und Elendsquartiere", der Junge aus dem viktorianischen London, von den Ufern der verschmutzten Themse? Und was hat er mit Narins eigener Vertreibung zu tun? Meisterhaft verwebt Elif Shafak Vergangenheit und Gegenwart zu einem soghaften Roman über sich kreuzende menschliche Schicksale und die Macht jahrhundertealter Konflikte.
Über die Autorin / über den Autor:Elif Shafak gehört zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen der Gegenwart. Sie veröffentlichte bisher 20 Bücher, darunter 13 Romane. Ihre Bücher wurden in 57 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Das Flüstern der Feigenbäume (2021) stand auf der Shortlist der British Book Awards, des Costa Books Awards, des RSL Ondaatje Prize, des Women's Prize for Fiction, und wurde für den Reese Witherspoon Buchclub ausgewählt. Unerhörte Stimmen (2019) schaffte es auf die Shortlist für den Booker Prize und den RSL Ondaatje Prize und wurde Blackwell's Book of the Year. Die vierzig Geheimnisse der Liebe (2013) wurde von der BBC zu einer der "100 Novels that Shaped Our World" gewählt. Der Architekt des Sultans (2015) wurde in der ersten Ausgabe des Reading Rooms, dem Buchclub der Herzogin von Cornwall, vorgestellt. Shafak promovierte in Politikwissenschaften und lehrte an verschiedenen Universitäten in der Türkei, den USA und in Grossbritannien, darunter als Honorary Fellow am St. Anne's College der Universität Oxford. Zudem promovierte sie in Humane Letters am Bard College. Shafak ist Fellow und Vizepräsidentin der Royal Society of Literature und wurde von der BBC zu einer der "100 inspirierendsten und einflussreichsten Frauen" gewählt. Ihre Aufritte, u.a. zweimal als Rednerin bei TEDGlobal, machen sie zu einer vielbeachteten und inspirierenden Stimme für Gleichberechtigung sowie Frauen- und LGBTQ+-Rechte. Weltweit trägt sie zu wichtigen Publikationen bei und wurde mit dem Chevalier de l'Ordre des Arts et des Lettres ausgezeichnet. 2017 wählte Politico sie zu einer der zwölf Personen, "die Ihnen das Herz erleichtern werden"“. Sie ist Jurorin zahlreicher Literaturpreise, z.B. des PEN Nabokov-Preises, und war Vorsitzende des Wellcome Prize. Kürzlich erhielt sie den Halldór Laxness International Literature Prize für ihren bereichernden Beitrag zur Kunst des Geschichtenerzählens. Sie ist Autorin eines regelmässigen Newsletters mit dem Titel "Unmapped Storylands".
Michaela Grabinger lebt in München. Zu den von ihr übersetzten Romanen und Sachbüchern zählen Werke von Elif Shafak, Anne Tyler, Meg Wolitzer, Charlotte Wood, Laila Lalami, Rebecca Solnit und Ece Temelkuran.
Preis: CHF 37.90