Donatella Di Pietrantonio

Borgo Sud

Nachdem Donatella Pietrantonio in Arminuta auf eindrückliche Weise beschrieben hat, wie ein Mädchen aus der ihm einzigen bekannten Familie zu ihren "richtigen" Eltern und Geschwistern gebracht wird, geht es in Borgo Sud um die Fortsetzung dieser Familiengeschichte – insbesondere um die Last dieser Familiengeschichte, die von den beiden Schwestern, der Ich-Erzählerin und der jüngeren Schwester Adriana, auf so unterschiedliche Weise getragen wird. Die eine wagt es nicht, auch nur das Geringste vom Leben einzufordern. Sie ist die gute Tocher, die gute Ehefrau, die gute Schwester ... ohne sich zu wehren, wenn sie enttäuscht, betrogen, ausgenutzt, verlassen wird. Adriana hingegen lebt das Leben in vollen Zügen und nimmt sich, was sie findet, dass es ihr zusteht.

Während Adriana gegen die Eltern rebelliert, sich in Rafael, einen Fischer aus Borgo Sud verliebt und von ihm ein Kind zur Welt bringt, heiratet die Ich-Erzählerin Piero. Er fasziniert sie, sie fühlt sich bei ihm geborgen, sie glaubt, ihn zu lieben. Doch als seine Abwesenheiten immer häufiger werden, wagt sie kaum zu fragen, wo er war. Und als dieser sie dann verlässt, die Mutter gestorben ist und Adriana eine neue Familie und Gemeinschaft, von der sie getragen wird, in Borgo Sud gefunden hat, verlässt sie Pescara und lässt sich schlussendlich in Grenoble nieder, wo sie unterrichtet, distanzierte Freundschaften pflegt, sich Katze und Pflanzen teilt, ohne sich ganz in Verantwortungen hineinzugeben. Als aber Adriana einen schweren Sturz erlitten hat, ist sie sofort dort, gewährt Adriana jede Hilfe, gibt das Halbleben, das sie sich erlaubt, auf, um für ihre Schwester und deren Sohn da zu sein.

Ein eindrücklicher Text darüber, welche Wunden die Familie schlagen kann und wie es das ganze Leben braucht, um diese zu kitten und ein einigermassen zufriedenes Leben zu führen. Da ist Adriana für die Ich-Erzählerin das einzig wichtige – oder auch das einzig übbriggebliebene –, für das sich lohnt zu kämpfen, da zu sein. Und es anders zu machen als die Mutter. Eindrücklich, berührend, melancholisch und doch sehr optimistisch. cn

Klappentext:

Das Leben der beiden Schwestern könnte unterschiedlicher nicht sein: Adriana lebt prekär in Borgo Sud, dem heruntergekommenen Hafenviertel von Pescara, ihre Schwester lehrt an der Universität in Grenoble. Eines Tages erhält sie einen Anruf, dass Adriana, die Jüngere, die Wilde, nach einem Sturz vom Balkon lebensgefährlich verletzt, auf der Intensivstation liegt. Der Anruf löst eine Flut von Erinnerungen aus: an die Nacht, in der Adriana mit einem Baby auf dem Arm vor ihrer Tür stand, an deren Liebe zum jungen Fischer Rafael, für den sie die Schule geschwänzt hat, mit dem sie nachts zum Fischen rausfährt, den sie verteidigt, egal in welche Schwierigkeiten er verwickelt ist. An die eigene Verlobung mit Piero und das Festessen, be dem sie verkündet wurde. An das Scheitern ihrer Ehe.

In Borgo Sud scheinen alle zu wissen, dass Adriana keinen Unfall hatte, aber was wirklich geschehen ist, darüber schweigen sie. Mit der Weisheit und Selbstverständlichkeit grosser Autoren beschenkt uns Donatella Di Pietrantonio mit einem Familienroman von grosser Wärme, der noch lange nachklingt.

Über die Autorin / über den Autor:

Donatella Di Pietrantonio wurde in den Abruzzen geboren und lebt heute in der Nähe von Pescara. Ihre Romane Meine Mutter ist ein Fluss (2013) und Bella mia (2015) wurden mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet. Mit Arminuta (2018) ist ihr der internationale Durchbruch gelungen.

Preis: CHF 28.90
Sprache: Deutsch (aus dem Italienischen von Maja Pflug)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2021 (2020)
Verlag: Kunstmann
ISBN: 978-3-95614-454-7
Masse: 224 S.

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