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Seit ich weiss, dass ich während eines Jahres einen Blog über Andalusien, oder besser gesagt, über die Region Andalusiens, die seit gut zwei Jahren meine neue Heimat geworden ist, schreiben werde, denke ich immer wieder darüber nach, weshalb ich eigentlich hier, an diesem Ort gelandet bin.
Leute, die mich schon lange kennen, würden wohl sagen: Du wolltest doch immer weg aus der Schweiz. An einen warmen Ort. An einen Ort, wo die Leute lustiger sind als in der Schweiz.
Wieder andere würden sagen, das war doch, weil du krank geworden bist und das Leben in Spanien viel günstiger ist als in der Schweiz.
Vordergründig betrachtet, stimmen alle diese Aussagen.
Aber in den letzten Wochen ist mir klar geworden, dass die Gründe für mein Auswandern nach Andalusien viel tiefer reichen, als der einfache Wunsch nach einem angenehmeren Klima oder der blossen Notwendigkeit aufgrund meiner Long-Covid-Erkrankung meine Lebenshaltungskosten senken zu müssen.
Es geht vor allem um das Thema Zugehörigkeit. Ein Thema, das für mich, Kind einer Luzerner Mutter und eines kamerunischen Vaters, nie einfach war.
Ich wuchs in den Siebziger- und Achtzigerjahren in Luzern auf. Meine dunkle Haut und mein krauses Haar veranlassten die Menschen in meinem Umfeld oft zu sehr schwierigem und verletzendem Verhalten.
Ich weiss nicht, wie oft ich in meiner Kindheit die Frage "Woher kommst du?" zu hören bekommen hatte. Meistens auf den Fuss gefolgt von ihrer noch schlimmeren Schwester: "Wann gehst du wieder zurück?"
Ich wuchs in dem festen Glauben auf, nicht in die Schweiz zu gehören. So empfand ich mich selbst immer mehr als Kamerunerin, als Afrikanerin und nicht als Schweizerin.
Sobald ich mich alt genug fühlte (mit ungefähr siebzehn Jahren), machte ich mich auf den Weg nach Kamerun. Fest entschlossen, meine Familie zu finden, zog ich von Dorf zu Dorf, mit nichts als meiner ersten kamerunischen Identitätskarte in der Hand. Darauf war ich ungefähr zwei Jahre alt. (Früher bekamen Kinder mit ausländischem Vater keine Schweizer Nationalität und galten als Ausländer.)
Aber auch in Kamerun war es mit der Zugehörigkeit nicht so einfach wie gedacht. Zwar glauben Kameruner an die Verbindung über das Blut. Somit war ich unbestritten ein Teil der Familie und gehörte dazu. Aber eben doch nicht ganz. War ich doch un enfant café au lait, ein Milchkaffee-Kind oder gar une blanche, eine Weisse. Schmerzlich wurde mir bewusst: Hier war ich nun also zu hell.
Einige Jahre später zog es mich dann in die Karibik, wo ich das erste Mal in meinem Leben die richtige Hautfarbe hatte. Vieles war wunderbar und entsprach meinen gemischten Gefühlen. Und doch befiel mich auch hier nach einiger Zeit die altbekannte innere Unruhe. Ich sehnte mich nach der afrikanischen Tiefgründigkeit und dem Stolz auf die eigene Identität, die den meisten Afrikaner:innen innewohnt.
Auf dieser Insel eiferten die meisten Menschen Amerika nach und erfanden Stammbäume, die, wollte man ihnen Glauben schenken, voller europäischer Vorfahren waren und allfälliges afrikanisches Erbe so unauffällig wie möglich unter den Teppich kehrten. Dies ungeachtet dessen, wie dunkel die eigene Hautfarbe war.
In den darauffolgenden Jahren pendelte ich immer wieder zwischen Kamerun, der Schweiz und der Dominikanischen Republik hin und her. Ich empfand alle drei Länder als ein Zuhause, verstand aber auch, dass ich mich nirgends je vollkommen zugehörig fühlen würde. Immer würde etwas fehlen. Immer würde ich einige an mich gestellte Erwartungen nicht erfüllen können. Auf ewig würde ich einen Fuss drin und einen Fuss draussen haben. Jederzeit bereit, wieder aufzustehen und weiterzuziehen.
Ruhe würde ich nur in der Abwechslung finden.
Irgendwann fiel mir auf, dass ich mich immer an den Orten am freisten und entspanntesten fühlte, wo ich nicht über meine Herkunft mit den Menschen verbunden war.
In der Schweiz passte ich optisch nicht in die weisse Familie und wurde oft mit schmerzhaften Stereotypen bedacht. Ebenso in der kamerunischen Familie in farblich umgekehrter Variante. Gepaart mit dem Anspruch, dass man von mir erwartete, eine gute afrikanische Tochter zu sein, was ich permanent zu beweisen hatte. In der Dominikanischen Republik ähnle ich so sehr den Menschen dieser Insel, dass niemand mir glaubte, dass ich keine Dominikanerin war. Was einerseits schön war, aber eben auch mit vielen Erwartungen an mein Verhalten einherging.
Andalusien ist in vieler Hinsicht ideal für mich. Es ist der südlichste Punkt Europas, was mich Afrika nicht nur klimatisch zu jeder Zeit nah fühlen lässt. Die Menschen, ihr Umgang untereinander, ihr Humor, die Art, wie sie ihre unzähligen Alltagsprobleme lösen, erinnern mich stark an meine Jahre in der Karibik und in Kamerun. Und doch profitiert man von europäischer Infrastruktur. Man spürt ohne Zweifel, dass die Dinge geregelt sind. Wenn auch der Verhandlungsspielraum, wie besagte Regeln umzusetzen sind, um einiges grösser ist als in der Schweiz. Das kleine Chaos lauert vielleicht schon hinter der nächsten Ecke. Gott sei Dank!
In den folgenden Beiträgen möchte ich gerne verschiedene Menschen vorstellen, die mich beeindrucken, faszinieren und mir ans Herz gewachsen sind. Denn wie könnte man besser ein Gespür für einen Ort entwickeln als durch die Menschen, die er hervorbringt?
Weiter freut es mich, Sie, euch an der Verwirklichung eines ganz persönlichen Projekts teilhaben zu lassen – dem Umbau eines wunderschönen Altstadhauses in Arcos de la Frontera zu einem Retreat-Zentrum und Hostal. Auch diese kreative und spannende Arbeit lässt einen sehr direkt ins andalusische Leben eintauchen.
Arcos, Gasse und See © Melara Mvogdobo