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Eine Sache, die meiner Persönlichkeit und meiner Lebenssituation sehr entgegenkommt, ist die Kommunikationsfreudigkeit der Andalusierinnen und Andalusier. Ich liebte es schon immer, mit fremden Menschen Gespräche zu beginnen und ihren kleinen und grossen Geschichten zu lauschen. Seit ich von Long Covid betroffen bin, sind soziale Kontakte ausser Haus schwierig geworden. Die Energie reicht nicht aus, um mich mit Freundinnen zu verabreden oder abends irgendwo essen zu gehen und einem Flamencokonzert zu lauschen.
In der Schweiz merkte ich schnell, dass mich dies in die Einsamkeit führen würde.
Anders hier in Andalusien. Die Menschen lassen keine Gelegenheit aus für ein kleines Gespräch.
Sei es an der Kasse im Supermarkt, wo sich vier Frauen inklusive Kassiererinnen über zwei, drei Kassen hinweg über ihre Ehemänner und Kinder unterhalten. Alle lachen mit (auch ich), stimmen zu und steuern eigene Anekdoten bei.
Ich stehe am Marktstand, um Knoblauch zu kaufen. Die Schlange ist lang. Bis ich an der Reihe bin, habe ich von der alten Frau vor mir mindestens zwei Rezepte mit besagtem Knoblauch erfahren und den Grund, weshalb sie heute hier einkauft und nicht im Supermarkt. Das junge Pärchen neben mir kauft jede Menge Gewürze. Die Frau erklärt allen, glaubt ja nicht, dass ich die Köchin bin von uns beiden. Er ist es, der bei uns kocht. Er kennt alle diese Gewürze. Ich habe davon keine Ahnung. Die Leute rundherum lachen und loben den jungen Mann.
So geht es überall. Letzten Sommer habe ich in einer Bank erlebt, dass der Tumult, nachdem das Computersystem ausgefallen war, so gross wurde, dass es den Angestellten reichte. Sie setzten uns kurzerhand vor die Tür und riegelten die Bank ab. Die Stimmung der Leute schwankte zwischen Empörung und Belustigung hin und her. Man klagte und schimpfte und erklärte auf alle Seiten, um welche wichtigen, persönlichen Angelegenheiten es sich beim heutigen Bankbesuch gehandelt hätte.
Auch bei offiziellen Terminen läuft es anders ab, als es sich nördlichere Europäer gewohnt sind. Das wird mir erst bewusst, als mich mein holländischer Lebenspartner, der sich aus seinem Land sehr zielgerichtete, geschäftsmässige Abläufe gewohnt ist, nach einem gemeinsamen Anwaltstermin etwas verwundert fragt: Wie lange waren wir jetzt bei dem Anwalt? Ungefähr eine Stunde, antworte ich. Warum? Und wie lange ging es wirklich um die Sache, weshalb wir gekommen sind?
Ich muss lachen. Denn er hat recht. Es waren ungefähr zwanzig Minuten.
Der Rest war Konversation. Ich kenne das gut von Afrika. Es gilt als unhöflich, direkt auf den Grund des Termins sprechen zu kommen. Zuerst spricht man eine gute Weile über andere Dinge. Sowieso, wenn man sich nicht zum ersten Mal sieht. Erst danach bespricht man die Sache, um die es geht. Ist das geregelt, folgen wieder ein paar Minuten persönliche Konversation, bevor man sich verabschiedet.
Interessanterweise machen diese Offenheit und Mitteilsamkeit auch vor Themen, die viele Menschen als Tabuthemen bezeichnen würden, keinen Halt.
So erzählt mir zum Beispiel mein Elektriker offen und spassig von seiner Unterbindung, die gerade einmal fünf Tage zurückliegt.
Und als ich bei meinem Mobilanbieter warten muss, gerate ich mit einer schönen, älteren Frau ins Gespräch. Nachdem ich ihr ein Kompliment für ihr Kleid (ein langes, grünes mit goldiger Stickerei) gemacht habe, erzählt sie mir von ihren zwei schlechten Ehemännern. Der eine ein Säufer, der andere ein Frauenheld. Mit dem Frauenhelden lebt sie noch unter einem Dach auf einer schönen Finca. Aber wir sind getrennte Leute. So ist es erträglich, sagt sie zum Schluss und geht.
Für Schweizer sehr wahrscheinlich unvorstellbar ist auch das hiesige Gebaren vor den Bankautomaten. Man spricht ständig mit den Wartenden und wenn man vor dem Automaten mit all den zu drückenden Tasten nicht mehr weiter weiss, dreht man sich einfach um und fragt: Kann mir bitte mal jemand helfen? Da wird einem schon einmal eine wildfremde Bankkarte in die Hand gedrückt, während man dazu aufgefordert wird, sich die Informationen auf dem Bildschirm anzuschauen.
Bei so einer Gelegenheit treffe ich auf einen Mann, den ich aus der Nachbarschaft kenne. Er blickt verwirrt auf den Geldautomaten. Kann ich dir helfen? Frage ich. Er bejaht. Zusammen gelingt es uns, dem Automaten das dringend benötigte Geld zu entlocken. Währenddessen ist mir aufgefallen, dass der Mann, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen habe, ziemlich viel Gewicht verloren hat. Ich spreche ihn darauf an. Ja, ja. Das stimmt. Antwortet er niedergeschlagen. Ich habe wieder Depressionen. Das tut mir leid, sage ich. Bekommst du Hilfe? Worauf er erwidert: Ja. Mein Arzt hat mir Medikamente verschrieben. Die helfen ein wenig.
Ich könnte die Liste solcher Gespräche fast unendlich lang weiterführen. Von Bedeutung ist in meinen Augen jedoch, ihre Wirkung.
Die Menschen hier erzählen von ihrem Leben. Zu jeder sich bietenden Gelegenheit. Egal, ob das, was man zu erzählen hat, lustig oder traurig, wichtig oder belanglos ist. Niemand erwartet vom zuhörenden Gegenüber eine Lösung. Ein bisschen Anteilnahme reicht vollkommen. Sei es, indem man mitlacht oder Verständnis zeigt für die schwierige Situation.
Ich glaube, dass es bei diesen Gesprächen in erster Linie um Psychohygiene und einen kurzen Moment der Verbundenheit geht.
Auf mich haben diese spontanen Begegnungen mit teils wildfremden Menschen auf jeden Fall diese Wirkung. Es gibt mir das Gefühl, trotz meiner Einschränkungen durch Long Covid immer noch mit meiner Umwelt in Kontakt zu stehen und wann immer mir danach ist, einen Schwatz halten zu können.
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Kennen Sie den charakteristischen Geruch von Javelwasser in den Strassen des Südens? Begleitet von nassen Stellen und kleinen schaumigen Pfützen auf dem Gehsteig?
Früher stellte sich bei mir bei diesem Geruch sofort das wohlige Gefühl ein, endlich in den Ferien angekommen zu sein. Ich war weit weg von zu Hause, das grosszügig vergossene Javelwasser bewies es. Was in Ferienzeiten eine gewisse Romantik verströmt, bekommt einen ganz anderen Beigeschmack, wenn man sich im eigenen Haus wiederfindet und mit einem Mal feststellt, dass man auf allen Seiten von lauter unglaublich putzfreudigen Nachbarinnen umgeben ist. Jeden Morgen werden von einer Armada von Hausfrauen Haustüren aufgerissen und man erhascht einen Blick in blitzblank saubere, perfekt aufgeräumte Wohnungen oder Patios. Was gibt es denn da bloss zu putzen? Frage ich mich ein ums andere Mal.
Und dann die noch viel beunruhigendere Frage: Wird diese Putzleidenschaft nun auch von mir erwartet? Für mich, die mit einer berufstätigen Mutter aufgewachsen ist, der Bildung oder ein schöner Ausflug stets wichtiger waren als ein perfekt geführter Haushalt, ist diese Vorstellung ein Graus.
Hier scheint für viele Frauen das Putzen eine Art Lebensaufgabe zu sein und kein simples Mittel zum Zweck.
So kann es passieren, dass meine Nachbarin und ich uns auf der Suche nach ein wenig Abkühlung um zwei Uhr morgens in einer heissen Sommernacht auf unseren aneinandergrenzenden Dachterrassen im Dunklen zufällig begegnen. Es entsteht ein Gespräch über die Hitze, die Jahreszeiten und in der Früh krähende Hähne, die wir, wie wir erfreut feststellen, beide lieben. Doch schon bald schwenkt das Gespräch in eine Richtung, bei der ich nicht mithalten kann. Weder mit meinem Interesse noch meinem Wissen: Putzmittel und ihre Bestimmung. Meine Nachbarin redet sich richtiggehend ins Feuer. Erzählt mir minutiös, wie sie was reinigt und welche Erfahrungen sie mit welchem Putzmittel gemacht hat. Nach einer Weile, die mir höflich genug scheint, gähne ich hörbar und wünsche meiner Nachbarin eine gute Nacht.
Gesprächsfetzen, in denen es darum geht, wie frau am besten Sauberkeit herstellt, kann man in den Strassen, wenn die Frauen für einen kurzen oder langen Schwatz ihre Arbeit unterbrechen, oft aufschnappen. Das ist der gesellige Aspekt. Während viele Männer schon früh morgens in der Bar ums Eck ihr erstes Bier zu sich nehmen und palavern tun die Frauen dasselbe mit dem Unterschied, dass sie anstelle des Biers einen Wischmopp in der Hand halten.
Was mich die Frage nach der Rollenverteilung stellen lässt. Ziemlich traditionell, das wird schnell klar. Man sieht kaum Männer, die Wäsche aufhängen oder den Gehsteig wischen, ausser sie werden dafür im Rahmen einer Arbeit bezahlt. Andererseits kann fast jeder der Männer in der Bar, eine Mauer hochziehen, sie verputzen und perfekt streichen.
Als meine Nachbarinnen sahen, wie meine Söhne ihre Wäsche selbst aufhängen, waren alle sehr erstaunt. Bewundernde Blicke durchzogen von einer Spur Mitleid begegneten ihnen.
Darüber sprach ich auch mit meiner Freundin Toñi, die ab und zu unser Ferienstudio reinigt. Sie nickt zustimmend, als ich ihr erkläre, dass ich darauf angewiesen bin, dass meine Söhne mithelfen. Vielmehr noch, dass ich es ihnen von klein auf beigebracht habe und es für selbstverständlich halte. Du hast vollkommen recht, pflichtet sie mir bei. Die Kinder sollten mithelfen. Erzählt mir aber im selben Atemzug, wie ihre Tochter, die in einer anderen Stadt studiert, sie ständig anruft, weil sie nicht weiss, wie die Waschmaschine funktioniert oder bei irgendetwas anderem Anleitung braucht. Mittlerweile bringt die Tochter die Wäsche wieder nach Hause zur Mutter. Wenn du die Wäsche machst, riecht sie einfach viel besser, schmeichelt sie ihrer Mutter. Ich schlage vor, der Tochter ein paar Flaschen vom mütterlichen Weichspüler zu schenken.
Aber im Ernst, frage ich Toñi, was hat es mit den Frauen und dem Putzen auf sich?
Sie seufzt, so als ob sich in diesem Moment all die unzähligen Stunden, die sie in ihrem Leben putzend verbracht hat, auf ihre Schultern setzen würden.
Ich weiss es wirklich nicht, Melara. Ich denke, es ist unsere Erziehung. Wir wurden von unseren Müttern und Grossmüttern dazu erzogen, jeden Tag das ganze Haus zu putzen, die Wäsche zu waschen, sie perfekt zu bügeln und zweimal täglich ein mehrgängiges Menu zu kochen. Ganz so schlimm ist es nicht mehr. Vielleicht, weil viele Frauen jetzt auch ausser Haus arbeiten.
Aber ich bin selbst oft so. Mein Mann ärgert sich immer wieder darüber, wenn ich bei Ausflügen die ganze Familie im Auto warten lasse, weil das Bett noch nicht gemacht, oder die Küche noch nicht genug sauber ist. Mein Mann sagt immer: Toñi, lass das doch liegen. Wen kümmert es, ob die Betten gemacht sind?
Doch ich kann es nicht lassen. Ich schaffe es einfach nicht, diese dumme Angewohnheit abzulegen, obwohl ich dadurch ständig gestresst bin.
Ich denke im Stillen, dass es vielleicht helfen würde, wenn Toñis Familienmitglieder beim Betten machen, helfen würden.
Aber so schlimm wie meine Schwägerin bin ich Gott sei Dank nicht!, fährt Toñi fort. Ihr Haus ist wie ein Ausstellungsstück. Gäste empfängt sie, nachdem sie ihnen stolz den makellosen Salon gezeigt hat, ausschliesslich in der Küche. Zu keiner Zeit wird man irgendwo ein Glas, oder sonst etwas finden, das beweist, dass Menschen dieses Haus bewohnen. Nein, nein, Toñi schüttelt heftig den Kopf, so schlimm ist es bei mir wirklich nicht.
Ich lache und lasse den Blick in meinem Wohnzimmer herumschweifen. Hier besteht absolut kein Zweifel, dass hier gelebt wird.
Was denkst du Toñi, frage ich weiter, haben in deinem Umfeld viele Frauen eine offizielle Arbeit ausser Haus? Ach, weisst du, in meiner Generation, also Frauen ab vierzig bis sechzig und älter, war es nicht selbstverständlich, eine Ausbildung zu machen. Auch für die Männer nicht.
Viele gingen früh von der Schule ab. Oftmals schon mit zwölf Jahren. Ich zum Beispiel half mit vierzehn schon täglich viele Stunden im Restaurant meines Onkels mit, wo auch meine Mutter arbeitete. Meine Schwester hingegen hat mehrere Ausbildungen gemacht. Aber ohne die geringste Unterstützung unserer Eltern. Ich habe viele Freunde, die schon mit zehn oder zwölf Jahren als Handlanger auf dem Bau begannen. So lernten sie den Beruf. Niemand fragt nach einem Diplom.
Die meisten Frauen, die ich kenne, arbeiten ohne Verträge. Sie pflegen alte Leute, reinigen Hotels, arbeiten in Läden, Bars oder Restaurants. Oft ist die Arbeitsdauer auf ein paar Monate begrenzt. In Spanien ist es für einen selbstständig Arbeitenden sehr kostspielig, jemanden offiziell unter Vertrag zu nehmen. Deshalb blüht bei uns die Schwarzarbeit.
Es lässt sich darüber streiten, ob man mit den traditionellen Rollenbildern, die in Andalusien noch weitverbreitet sind, einverstanden ist oder nicht. Ich neige dazu, die Fähigkeiten beider Seiten zu bewundern. Alles, was ein Mensch kann, ist hilfreich. Egal, ob es sich dabei um eine hochgezogene Mauer oder ein perfekt gemachtes Bett handelt. Nützlich ist beides. Jedes zu seiner Zeit.
Und wenn die makellosen Hauseingänge und Dachterrassen um mich herum drohen, mich zu sehr unter Druck zu setzen, halte ich mich einfach an meine Nachbarn zur Rechten. Auf ihrer Dachterrasse herrscht stets ein angenehmes Durcheinander von Fahrrädern und anderen fast vergessenen Sachen. Alles von einer gemütlichen Schicht Staub überzogen. Beide berufstätig. Sie im generationenalten Familienbetrieb, er bei der Gemeinde.
Und manchmal beobachte ich sogar die zwei kleinen Söhne dabei, wie sie noch etwas unbeholfen, aber gewissenhaft die Dachterrasse fegen.
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Seit ich weiss, dass ich während eines Jahres einen Blog über Andalusien, oder besser gesagt, über die Region Andalusiens, die seit gut zwei Jahren meine neue Heimat geworden ist, schreiben werde, denke ich immer wieder darüber nach, weshalb ich eigentlich hier, an diesem Ort gelandet bin.
Leute, die mich schon lange kennen, würden wohl sagen: Du wolltest doch immer weg aus der Schweiz. An einen warmen Ort. An einen Ort, wo die Leute lustiger sind als in der Schweiz.
Wieder andere würden sagen, das war doch, weil du krank geworden bist und das Leben in Spanien viel günstiger ist als in der Schweiz.
Vordergründig betrachtet, stimmen alle diese Aussagen.
Aber in den letzten Wochen ist mir klar geworden, dass die Gründe für mein Auswandern nach Andalusien viel tiefer reichen, als der einfache Wunsch nach einem angenehmeren Klima oder der blossen Notwendigkeit aufgrund meiner Long-Covid-Erkrankung meine Lebenshaltungskosten senken zu müssen.
Es geht vor allem um das Thema Zugehörigkeit. Ein Thema, das für mich, Kind einer Luzerner Mutter und eines kamerunischen Vaters, nie einfach war.
Ich wuchs in den Siebziger- und Achtzigerjahren in Luzern auf. Meine dunkle Haut und mein krauses Haar veranlassten die Menschen in meinem Umfeld oft zu sehr schwierigem und verletzendem Verhalten.
Ich weiss nicht, wie oft ich in meiner Kindheit die Frage "Woher kommst du?" zu hören bekommen hatte. Meistens auf den Fuss gefolgt von ihrer noch schlimmeren Schwester: "Wann gehst du wieder zurück?"
Ich wuchs in dem festen Glauben auf, nicht in die Schweiz zu gehören. So empfand ich mich selbst immer mehr als Kamerunerin, als Afrikanerin und nicht als Schweizerin.
Sobald ich mich alt genug fühlte (mit ungefähr siebzehn Jahren), machte ich mich auf den Weg nach Kamerun. Fest entschlossen, meine Familie zu finden, zog ich von Dorf zu Dorf, mit nichts als meiner ersten kamerunischen Identitätskarte in der Hand. Darauf war ich ungefähr zwei Jahre alt. (Früher bekamen Kinder mit ausländischem Vater keine Schweizer Nationalität und galten als Ausländer.)
Aber auch in Kamerun war es mit der Zugehörigkeit nicht so einfach wie gedacht. Zwar glauben Kameruner an die Verbindung über das Blut. Somit war ich unbestritten ein Teil der Familie und gehörte dazu. Aber eben doch nicht ganz. War ich doch un enfant café au lait, ein Milchkaffee-Kind oder gar une blanche, eine Weisse. Schmerzlich wurde mir bewusst: Hier war ich nun also zu hell.
Einige Jahre später zog es mich dann in die Karibik, wo ich das erste Mal in meinem Leben die richtige Hautfarbe hatte. Vieles war wunderbar und entsprach meinen gemischten Gefühlen. Und doch befiel mich auch hier nach einiger Zeit die altbekannte innere Unruhe. Ich sehnte mich nach der afrikanischen Tiefgründigkeit und dem Stolz auf die eigene Identität, die den meisten Afrikaner:innen innewohnt.
Auf dieser Insel eiferten die meisten Menschen Amerika nach und erfanden Stammbäume, die, wollte man ihnen Glauben schenken, voller europäischer Vorfahren waren und allfälliges afrikanisches Erbe so unauffällig wie möglich unter den Teppich kehrten. Dies ungeachtet dessen, wie dunkel die eigene Hautfarbe war.
In den darauffolgenden Jahren pendelte ich immer wieder zwischen Kamerun, der Schweiz und der Dominikanischen Republik hin und her. Ich empfand alle drei Länder als ein Zuhause, verstand aber auch, dass ich mich nirgends je vollkommen zugehörig fühlen würde. Immer würde etwas fehlen. Immer würde ich einige an mich gestellte Erwartungen nicht erfüllen können. Auf ewig würde ich einen Fuss drin und einen Fuss draussen haben. Jederzeit bereit, wieder aufzustehen und weiterzuziehen.
Ruhe würde ich nur in der Abwechslung finden.
Irgendwann fiel mir auf, dass ich mich immer an den Orten am freisten und entspanntesten fühlte, wo ich nicht über meine Herkunft mit den Menschen verbunden war.
In der Schweiz passte ich optisch nicht in die weisse Familie und wurde oft mit schmerzhaften Stereotypen bedacht. Ebenso in der kamerunischen Familie in farblich umgekehrter Variante. Gepaart mit dem Anspruch, dass man von mir erwartete, eine gute afrikanische Tochter zu sein, was ich permanent zu beweisen hatte. In der Dominikanischen Republik ähnle ich so sehr den Menschen dieser Insel, dass niemand mir glaubte, dass ich keine Dominikanerin war. Was einerseits schön war, aber eben auch mit vielen Erwartungen an mein Verhalten einherging.
Andalusien ist in vieler Hinsicht ideal für mich. Es ist der südlichste Punkt Europas, was mich Afrika nicht nur klimatisch zu jeder Zeit nah fühlen lässt. Die Menschen, ihr Umgang untereinander, ihr Humor, die Art, wie sie ihre unzähligen Alltagsprobleme lösen, erinnern mich stark an meine Jahre in der Karibik und in Kamerun. Und doch profitiert man von europäischer Infrastruktur. Man spürt ohne Zweifel, dass die Dinge geregelt sind. Wenn auch der Verhandlungsspielraum, wie besagte Regeln umzusetzen sind, um einiges grösser ist als in der Schweiz. Das kleine Chaos lauert vielleicht schon hinter der nächsten Ecke. Gott sei Dank!
In den folgenden Beiträgen möchte ich gerne verschiedene Menschen vorstellen, die mich beeindrucken, faszinieren und mir ans Herz gewachsen sind. Denn wie könnte man besser ein Gespür für einen Ort entwickeln als durch die Menschen, die er hervorbringt?
Weiter freut es mich, Sie, euch an der Verwirklichung eines ganz persönlichen Projekts teilhaben zu lassen – dem Umbau eines wunderschönen Altstadhauses in Arcos de la Frontera zu einem Retreat-Zentrum und Hostal. Auch diese kreative und spannende Arbeit lässt einen sehr direkt ins andalusische Leben eintauchen.
Die Wirtin dieses Restaurants (wir sehen uns zum ersten Mal) bringt mir, nachdem ich über die Kälte klage, eine Decke und schlüpft auch gleich darunter. © Melara Mvogdobo
Wasserpfütze: Frischgeputzt. Strässchen in Arcos © Melara Mvogdobo
Arcos, Gasse und See © Melara Mvogdobo