Dies ist ein verstörender Text. Eine Dystopie, die den Leser/die Leserin in eine hermetisch geschlossene Gesellschaft entführt, in der Macht durch eine lückenlose Überwachung und durch ein grausames Strafsystem aufrechterhalten wird. Frauen sind dem System besonders ausgeliefert. Reduziert auf den Status von Sklavinnen, sind sie der Willkür und der Gewalt der Herrschenden schutzlos ausgeliefert. Margaret Atwood hat mit ihrem 1985 erschienenen Buch, Der Report der Magd, eine präzise Beschreibung einer solchen Dystopie vorgelegt. In ihrem 1990 in Jugoslawien erschienenen Buch Filio ni doma reiht sich Berta Bojetu in diese Tradition ein.
In Filio ist nicht daheim werden die Leser*innen auf eine namenlose Insel, irgendwo an der adriatischen Küste entführt. Dahin werden die Protagonistin Helena Brass, ihre Tochter Filio und ein zunächst namenloser Junge gebracht, nachdem ihr Schiff auf hoher See Schiffbruch erlitten hat. Ihre Rettung auf die Insel erweist sich jedoch bald als Danaergeschenk. Helena Brass lernt eine strikt nach Geschlechtern getrennte Gesellschaft kennen, in der Frauen ein gänzlich entrechtetes und unterdrücktes Leben führen. Eindrucksvoll beschreibt Berta Bojetu alltägliche Kontroll- und Bestrafungsprozesse, mit denen die weiblichen Körper unterworfen und sexuell ausgebeutet werden. Angst und Gewalt dominieren den Alltag der Frauen. Geduckt schleichen die Inselbewohnerinnen durch die Gassen der Stadt und wenden den Blick ab, wenn sie einer anderen Frau begegnen. Mit ihren Kindern führen sie ein isoliertes Leben in heruntergekommenen Häusern. Die Vorstellung eines anderen Lebens ist in Vergessenheit geraten. Zu sehr sind Geist und Körper diszipliniert und unterworfen. Es ist die aus der Fremde kommende Helena Brass, die sich mit diesen Zuständen nicht abfinden will. Auch wenn ihr Feindseligkeit entgegenschlägt, beginnt sie die herrschende Ordnung zu stören. Sie findet eine Gleichgesinnte und gemeinsam leisten sie auf eigensinnige Art und Weise Widerstand. Keine noch so harte Bestrafung kann die beiden Frauen dazu bringen, ihren Wunsch nach einem besseren Leben aufzugeben. Sie können die Macht nicht bezwingen, aber sie schaffen es, die rigiden Strukturen zum Tanzen zu bringen.
Auch wenn Filio ist nicht daheim kein einfacher Text ist, besticht er durch eine dichte Erzählweise und eine klare Sprache. Es gelingt der Autorin, das Verstörende und Beklemmende eines totalitären Systems auf eine Art und Weise zu beschreiben, dass ein Sog entsteht. Zwischendurch möchte die Leserin das Buch weglegen, zu sehr wird sie in das dichte Geflecht von Überwachen und Strafen hineingezogen. Die Angst, von der Insel nicht mehr wegzukommen, wird fast übermächtig. Es ist die starke Persönlichkeit von Helena Brass, die zum Weiterlesen zwingt und der Angst eine Tür öffnet. Doris Gödl
Klappentext:Der wortgewaltige Roman Filio ist nicht daheim zählt wahrscheinlich zu den aussergewöhnlichsten slowenischen Werken überhaupt. Die üppige poetische Sprache, der reiche Symbolismus und der sensible Blick der Autorin für alles Erotische und Sexuelle stechen deshalb so heraus, weil sie damit eine Anti-Utopie zeichnet, die einem Bestiarium des Wahnsinns ähnelt. Die Fabelwesen hier sind raubtierhafte Menschen, die ihr totalitäres Regime über systematische Vergewaltigung regeln. Die Männer der unteren Stadt sind die absoluten Herrscher einer Insel, die wie eine Strafkolonie für Frauen wirkt. Und doch scheint alles so vertraut und alltäglich zu sein, so unbeschwert natürlich – dass sich das Buch eigentlich wie ein trojanisches Pferd im Gedanken der Unterdrückung liest: Es sprengt von innen heraus.
Über die Autorin / über den Autor:Berta Bojetu, auch Berta Bojetu Boeta, wurde 1946 in Maribor geboren. Sie studierte Slawistik und unterrichtete einige Jahre, daraufhin besuchte sie die Akademie für Theater, Regie, Film und Fernsehen (AGRFT) in Ljubljana. 15 Jahre spielte sie am Puppentheater Ljubljana. 1979 veröffentlichte sie den Gedichtband Žabon (Der grosse Frosch), darauf folgte 1988 der Band Besede iz hiše Karlstein (Worte aus dem Hause Karlstein), der aus ihrem Drama Pogovor v hiši Karlstein (Gespräch im Hause Karlstein) entstand. 1990 folgte ihr Roman Filio ist nicht daheim, 1995 erschien dann Pticja Hiša (Das Vogelhaus). Die Romane leben stark von der poetischen Sprache ihrer Gedichte. 1995 schrieb sie auch den noch unveröffentlichten Roman Šira (Die Weite) und im selben Jahre erschien ihr Drama für Kinder Gremo k babici – Osama (Wir gehen zur Oma – Osama). Berta Bojetu starb am 16. März 1997 in Ljubljana.
Preis: CHF 29.90