Shady Lewis

Auf dem Nullmeridian

Shady Lewis' Roman spielt zwar in London – findet aber in einer wahrhaft internationalen Gemeinschaft statt. Da sind all die Menschen von überall jer, die sich um all die Menschen von überall her kümmern. Denn wer sonst würde sich um sie kümmern, lässt Shady Lewis seinen Protagonisten fragen. Dieser ist wie Shady Lewis ein ägyptischer Kopte, der seit zehn Jahren in London lebt und für die Sozialbehörde arbeitet. Eine Arbeit ohne Sinn und Zweck, da es immer zu wenig Hilfe gibt, zu wenig Wohnungen, zu wenig Geld, zu wenig Betreuung. Die auf Hilfe Wartenden werden in einem dauerhaften Wartezustand belassen, die in den Behörden Beschäftigten werden mit unendlichen bürokratischen Abläufen zugedeckt … ein Leben, das nicht ohne folgen bleibt. Der Ich-Erzähler wird immer zynischer, immer gelangweilter vom Leben, von den Schicksalen anderer Menschen, von der Welt. Und immer die Ausgrenzung: wurde er in Ägypten als Kopte ausgegrenzt, wird er in London als Muslim ausgegrenzt. Und er wird so lange und so beharrlich als Muslim behandelt, bis er sich selber wie ein Muslim zu fühlen beginnt.

Auf dem Nullmeridian ist kein einfaches Buch. Die Erzählung ist gebrochen, führt von London nach Syrien, nach Ägypten, zurück zur Grossmutter, in die Gegenwart der viktorianischen Reihenhäuser, bis sie zuletzt auf dem Friedhof anlangt, wo die vereinsamten Fremden ohne Anwesenheit ihrer Angehörigen beerdigt werden. Ausführungen aller Art kreuzen durch den Text, Erinnerungsfetzen aus den unterschiedlichen Leben. Es ist ein Buch, das die Heimatlosigkeit so vieler Menschen spür- und nachvollziehbar macht, das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit gegenüber einer Gesellschaft, zu der man nie gehören wird, das Gefühl der Sehnsucht nach einer Gesellschaft, in die man nie mehr zurückkehren kann. cn

Hier gibt es auch eine spannende Rezension von Angela Schader über Auf dem Nullmeridian zu lesen.

Klappentext:

Ein Ägypter lebt als Immigrant in London. Er hat einen Job mit einem eigenen Büro, einem Schreibtisch und einem Computer, er arbeitet in der Wohnraumbehörde eines für seinen hohen Anteil an Einwanderern bekannten Bezirks.

Aber anstatt Menschen eine Bleibe zu vermitteln, verzweifelt er an der Bürkokratie: "Seit langem folgt sie der Logik, dass man die einen beschäftigt und die anderen in der Hoffnung belässt, dass eine Bearbeitungsrunde nach der anderen, wie lange sie sich auch hinzieht, eines Tages zu etwas führen könnte."

Der Anruf eines Freundes verspricht seinem Leben einen neuen Sinn zu geben. Der Ägypter soll helfen, einen jungen Syrer zu beerdigen, der nach einer langen Flucht in London verstarb. Schmerzliche Erinnerungen werden wach, an die eigene Einwanderergeschichte, an die Kindheit als ausgegrenzter koptischer Christ in Kairo, als "verdammter Kreuzanbeter".

Über die Autorin / über den Autor:

Shady Lewis wurde 1978 in Ägypten in eine Familie koptischer Christen hineingeboren. 2006 kam er als Einwanderer nach London und arbeitete mehr als zehn Jahre im sozialen Dienst der Stadtverwaltung. Die Erfahrung, dass selbst die im öffentlichen Dienst arbeitenden Migranten ihren Mitmenschen oft nicht helfen können, führte zu seinem Roman Auf dem Nullmeridian. Er hat Psychologie studiert, sein Schwerpunkt liegt heute auf der Analyse der psychologischen Struktur des politischen Diskurses in der arabischen Welt.

Günther Orth, geboren 1963 in Ansbach, studierte in Erlangen Islamwissenschaft. Sprachstipendien führten ihn nach Ägypten und Syrien und in den Jemen, es folgte ein Übersetzerabschluss in Arabisch in Leipzig. Er arbeitet heute in Berlin und weltweit als Übersetzer und Konferenzdolmetscher für Arabisch. Er hat u.a. Galal Alahmadi, Mohammad Al Attar, Fawwaz Haddad, Abdelaziz Baraka Sakin und Adania Shibli ins Deutsche übertragen.

Preis: CHF 32.50
Sprache: Deutsch (aus dem Arabischen von Günterh Orth)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2023 (2020)
Verlag: Hoffmann und Campe
ISBN: 978-3-455-01572-0
Masse: 222 S.

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