Usama Al Shahmani

Im Fallen lernt die Feder fliegen

In diesem sehr dichten Roman führt uns Usama Al Shahmani vor Augen, wie ambivalent der Begriff Heimat ist. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht von Aida, Tochter irakischer Eltern, die aus dem Irak in den Iran und dann in die Schweiz flüchten mussten. Aida hat den grössten Teil ihrer Kindheit und Jugend, gemeinsam mit ihrer Schwester Nosche in der Schweiz verbracht. Als ihre Eltern nach Saddam Husseins Sturz zurück in den Irak reisten, mussten die 15jährige Aida und die 18jährige Nosche mitfahren. Zurück in die Heimat. Eine Heimat, die ihnen vollkommen fremd war, wo sie die Fremden blieben, die Schweizerinnen mit vollkommen anderen Ambitionen als denen, die ihnen als Frauen in einem Dorf in der irakischen Provinz offenstanden. Auch für die Eltern war die Heimat nicht mehr das, was sie erwartet haben. Auch an ihnen ist die Fremde nicht spurlos vorbeigegangen. Als die beiden Mädchen wieder zurück in die Schweiz flüchteten, in ihre Heimat, werden sie wiederum zu Flüchtlingen. Einmal mehr gelten sie als Fremde in ihrer eigenen Heimat. 

Die Handlung des Romans strukturiert sich entlang des inneren Monologs, den Aida mit sich selber führt, als Daniel, ihr langjähriger Partner, für ein paar Monate in ein Schweizer Bergtal zieht, um dort seinen Zivildienst abzuleisten. Seiner Abreise voraus gingen zahlreiche misslungene Versuche, einen Zugang zu ihrer Geschichte zu finden. Was die Beziehung langsam an den Rand des Scheiterns bringt. Aida will und kann nicht über ihre Geschichte sprechen – sie will sich nicht als Fremde fühlen, sie will nicht als Andere analysiert und betrachtet werden. Sie will vor allem aber auch nicht über ihre traumatischen Erfahrungen sprechen.

Der Roman ist eine sensible Heranführung an Aidas Erinnerungen, an ihre Sehnsüchte und Hoffnungen – gespickt mit wunderbar poetischen Sprachbildern, die eine ganze Welt eröffnen. Ein sehr lesenswertes Buch! cn

Klappentext:

Die irakischstämmige Aida verleugnet ihre Herkunft, was immer wieder zu Streit mit ihrem Freund führt. In ihrer Not setzt sie sich hin und beginnt aufzuschreiben, was sie nicht sagen kann. Geboren in einem iranischen Flüchtlingslager, kam sie mit ihren Eltern und der älteren Schwester in die Schweiz. Die Mädchen gehen zur Schule, aber ihre Eltern kommen mit dem westlichen Alltag nicht zurecht und verklären mehr und mehr ihre Heimat. Der Vater, ein konservativer Theologe, beschliesst schliesslich, mit der ganzen Familie in den Irak zurückzukehren. Aber was für die Eltern die Heimat ist, die sie einst verlassen haben, ist für die beiden Schwestern ein fremdes Land. Als die Ältere verheiratet werden soll, fliehen sie nun ihrerseits und gelangen als unbegleitete Minderjährige in die Schweiz. Aber auch sie lässt die Vergangenheit nicht los.

Wieder gelingt es Usama Al Shahmani, vielschichtig von der grossen inneren Anstrengung von Flüchtlingen bei ihren Integrationsbemühungen zu erzählen und dabei immer ein Fenster zur Hoffnung offenzulassen. Und nicht zuletzt überwindet er selbst die Mühsal des Exils durch das Verschmelzen der arabischen mit der westlichen Kultur im Erzählen.

Über die Autorin / über den Autor:

Usama Al Shahmani, geboren 1971 in Bagdad und aufgewachsen in Qalat Sukar (Al Nasiriyah), hat arabische Sprache und moderne arabische Literatur studiert, er publizierte drei Bücher über arabische Literatur, bevor er 2002 als Flüchtling in die Schweiz kam. Er arbeitet heute als Dolmetscher und Kulturvermittelter und übersetzt ins Arabische, u. a. Fräulein Stark von Thomas Hürlimann, Der Islam von Peter Heine und Über die Religion von Friedrich Schleiermacher. Usama Al Shahmani lebt mit seiner Familie in Frauenfeld. Sein erster Roman In der Fremde sprechen die Bäume arabisch wurde mehrfach ausgezeichnet und war u.a. für das "Lieblingsbuch des Deutschschweizer Buchhandels" nominiert.

Preis: CHF 28.00
Sprache: Deutsch
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2020
Verlag: Limmat
ISBN: 978-3-03926-002-7
Masse: 240 S.

zurück