Chaza Charafeddine

Beirut für wilde Mädchen

Ein Mädchen erzählt ihre Erinnerungen, kleine poetische Perlen, die sich aneinanderreihen. Nach den ersten, fast traumartigen Szenen irgendwo in Afrika, kommt das Mädchen nach Tyros, im Südlibanon, zu ihren Grosseltern. Nach der Rückkehr der Eltern aus Afrika, lässt sich die Familie in Beirut nieder. Das Mädchen geht an eine französisch-katholische Schule, stammt allerdings selber aus einer schiitischen Familie. Der Bürgerkrieg bricht aus, Israel marschiert in Beirut ein – das Mädchen flieht in die Schweiz und dann nach Deutschland.

Kleine Szenen, Anekdoten, die das Mädchen aus ihrer radikal subjektiven Perspektive erzählt, richten die Aufmerksamkeit auf viele spannende Themen. Wie sich die religiöse Zugehörigkeit und Praxis während der Jahre des Bürgerkrieges verschärft; wie sich die Haltung gegenüber den Forderungen der palästinensischen Flüchtlingen zu einer Identität entwickelt; wie sich die Stellung der Frauen radikal verändert. Das Spezielle an dieser Erzählung ist aber, dass die Autorin nichts erklären will. Ihr geht es um die damalige Perspektive eines kleinen und heranwachsenden Mädchens und um die Absolutheit derer Perspektive. Das macht diesen Text zu einem sehr eindrücklichen Leseerlebnis und kann einen erahnen lassen, wie sich das Heranwachsen in einer Welt wie Beirut in den siebziger/achtziger Jahre angefühlt hat. cn

Klappentext:

Diese literarische Autobiographie eines "wilden Mädchens" erzählt eine global-arabische Geschichte im kulturellen und religiösen Schmelztiegel Libanon – mit allen Umbrüchen und Radikalisierungen, wie sie in den 70er-Jahren statthatten. Unangepasst und frech fällt der sezierende Blick der Nur-als-Mädchen-Geborenen auf die vielen, auch tragischen Widersprüche des familiären wie politischen Lebens, den zivilisatorischen Irrsinn, in den die Heranwachsende gezwungen werden soll. Das Lachen bleibt einem zuweilen im Halse stecken. Den Anfang macht wie eine Traumsequenz ihre Initiation ins Leben in einem unbenannten Land Schwarzafrikas, "wo die Erde ihr die Füsse verbrennt, ihre Hitze mit ihr teilen will, weil sie sie liebhat".

Als junge Frau dann in der Schweiz und in Deutschland, wohin sie sich vor allen Rollenzwängen flüchtet, bereichert sie ihre provokante Sprache, auch in der Gegenüberstellung der Kulturen. "Bei uns ist [das Sichentschuldigen] einfach nicht Usus, nicht weil wir unhöflich wären, sondern weil man untereinander keine Grenzen verspürt, die einer solchen Höflichkeitsform bedürfen."

Stefan Weidner bettet diese Geschichte ein in einen erhellenden Abriss der historischen, politischen, auch literarischen Phänomene (bis zur Explosion im August 2020), denen Beirut seine Sonderstellung in der arabischen Kultur verdankt. Beirut für wilde Mädchen fungiert dafür als grossartiger Spiegel.

Über die Autorin / über den Autor:

Chaza Charafeddine kam 1964 in Tyros an der Mittelmeerküste im südlichen Libanon zur Welt und wuchs in Beirut auf. Sie studierte Pädagogik und Tanz, bevor sie zur Kunst und zum Schreiben fand. Nachdem sie einundzwanzig Jahre lang zwischen dem Libanon, Deutschland und der Schweiz hin- und hergependelt ist, ging sie 2007 nach Beirut zurück, wo sie bis heute lebt. Ihre literarischen Texte sind in libanesischen Feuilletons, in Kunst- und Kulturmagazinen sowie in diversen Anthologien erschienen. 2012 veröffentlichte sie bei Dar Al-Saqi die Novelle Flashback und 2015 eine Sammlung von Kurzgeschichten unter dem Titel haqibatun bilkadi tura (Ein fast unsichtbarer Koffer). Chaza Charafeddine bezieht auch in ihrer Kunst (Collagen, Fotos, Installationen) eindeutig Position und ist in zahlreichen Galerien weltweit vertreten.

Preis: CHF 25.90
Sprache: Deutsch (aus dem Arabischen von Günther Orth)
Art: Broschiertes Buch
Erschienen: 2021 (2012)
Verlag: Converso
ISBN: 978-3-9822252-0-3
Masse: 156 S.

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