Yasmine Chami

Tief ins Fleisch

Eigentlich ist Dans sa chair der Zwillingsroman zu Médée, cherie. Dort sind wir im Kopf von Médée, die von Ismaël nach dreissig Ehejahren am internationalen Flughafen einfach stehen gelassen worden ist. Hier begleiten wir nun Ismaël, wir lernen seine Überlegungen, die zu seiner Entscheidung für so einen brutalen Bruch geführt haben, kennen. 

In feinen Strichen zeichnet Yasmine Chami das Porträt eines Mannes, der als Kind seinen geliebten Vater verloren hat, der sich um seine Mutter und seine Geschwister gekümmert hat und dem Wunsch seines Vaters entsprechend zu einem gefeierten Neurologen geworden ist. Mit Médée hat ihn während dreissig Jahren eine tiefe Liebe verbunden. Sie hat für ein glückliches Zuhause gesorgt, hat die Beziehungen zu Familien und Freunden gepflegt, hat ihm den Rücken freigehalten für seine beruflichen Verpflichtungen. Daneben hat sie ihre Kunst gemacht, Skulpturen, die für Ismaël fremd und eigentlich ohne tiefere Bedeutung waren. 

Als er Meriem kennenlernte, versprach ihm die neue Liebe eine Unbeschwertheit und Lebendigkeit, die er nie zuvor erfahren hatte. Ohne Rücksicht auf Médée, Meriem, seine Familie, seine Freunde hat er die Entscheidung getroffen, seine Familie zu verlassen, und erst mit der Zeit wahrgenommen, wie viel Selbsttäuschung sein Leben geprägt hat. Ein eindrücklicher Text, eine differenzierte Analyse patriarchaler Strukturen und ein wunderschönes Porträt eines Mannes, der erst viel zu spät zu sich selber gefunden hat. 

Klappentext:

Marokko, das schillernde, das trügerische, das tragische. Ein Portrait von Gewalt, Liebe und Verrat erzählt anhand der Geschichte eines aussergewöhnlichen Paars – Ismaïl, eine Koryphäe der Neurochirurgie in Rabat, und seine schöne, warmherzige Frau Medée, Bildhauerin, Mutter ihrer drei Kinder. Brutal, ohne Erklärung verlässt Ismaïl seine Frau nach über dreissig Jahren, um zu Meriem zu gehen, auch sie Neurochirurgin, sehr viel jünger, die ihn vor der Grenzkontrolle eines internationalen Flughafens erwartet. In der Hoffnung, den Knoten von Begehren, Verrat und Gewalt, der sie alle zu ersticken droht, so ehrenhaft wie möglich zu zerschlagen.

Doch es ist die Frau, eine moderne, eine Anti-Medea, die nicht zerbricht und ihre Kinder nicht opfert, sondern sie in das Schöpferische ihrer neuen Existenz mitnimmt und wie Phönix aus der Asche aufsteigt.

Der Mann ist es, der sich selbst aufgibt und alle verliert.

Über die Autorin / über den Autor:

Yasmine Chami, 1966 in Casablanca. Studium der Philosophie an der Ecole Normale Supérieure in Paris. Professur in Anthropologie. 1999 ihr erster Roman Cérémonie (Actes Sud). Nach der Geburt ihrer Zwillingssöhne 2001 in New York kehrt sie zurück nach Marokko, wo sie in Casablanca das Museum Villa des Arts leitet; sie gründet eine Radio-Film-Produktionsgesellschaft, arbeitet viele Jahre als TV-Redakteurin über spezifische marokkanische Gesellschaftsentwicklungen, Urbanisierung. Wie in ihrem Roman Tief ins Fleisch, 2024, [Dans sa Chair, Actes Sud, 2022] stellt sie die für die marokkanischen Gesellschaft enorm politische Frage nach den Geschlechterverhältnissen; nicht zuletzt die: was macht das Patriarchat mit den Männern eigentlich. Alle ihre Romane spielen in Marokko, zuletzt Casablanca Circus 2023; mit ihrem ganz besonderen, für Mythologie und religiöse Strukturen einen offenen Blick, schafft sie dank ihrer Verankerung in der kollektiven Psyche, den ererbten Kulturen, den Orten eine wirklich universelle Literatur, vgl. Nadine Gordimer (L’écriture et l’existence). Für ihren Roman Mourir est un enchantement erhielt sie 2017 die Kategorie Sonderpreis des Arabischen Literaturpreises (Institut du monde Arabe)

Preis: CHF 31.50
Sprache: Deutsch (aus dem Französischen von Claudia Steinitz)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2024 (2022)
Verlag: Edition Converso
ISBN: 978-3-949558-31-3
Masse: 189 S.

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