Pascale Kramer

Autopsie des Vaters

In dem beeindruckenden Buch von Pascale Kramer tasten wir uns langsam an die Protagonistinnen und Protagonisten des Romans heran. Wir treffen Ania und Théo, ihren sechsjährigen tauben Sohn, Novak, ihren geschiedenen Mann, ursprünglich aus Serbien. Und wir lernen Clara kennen, die junge Ehefrau von Anias Vater, die Ania zum ersten Mal nach dem Selbstmord ihres Vaters sieht. Und sehr behutsam nähern wir uns auch Gabriel, Anias Vater, der sich immer mehr von einer unglaublichen, fast mitleidslosen Selbstsicherheit und Arroganz geleitet entpuppt, mit der er seine Tochter als Kind in grosse Selbstzweifel und nicht enden wollende Ängste gestürzt hat. So sehr, dass sie sich in den letzten Jahren kaum mehr gesehen haben. Der Text tastet sich an die verschiedenen Personen und deren Gefühle heran. In einer klaren Sprache, in präzisen Bildern, die einem die Personen bald unglaublich vertraut machen. Der Grund für Gabriels Selbstmord, ein arrivierter Linksintellektueller, Politiker, wird in dem Skandal vermutet, den er dadurch verursacht hat, dass er Verständnis für die beiden jungen Männer aus seinem Dorf, die einen Ausländer brutal ermordet haben, zeigte. So ist das Buch auch eine Auseinandersetzung mit den Ängsten der Gesellschaft und dem Populismus. Ein unbedingt lesenswertes Buch! cn

Klappentext:

Ania hat ihren Vater jahrelang kaum gesehen. Da erreicht sie eines Tages ein Anruf seiner neuen Frau: Gabriel hat in der Nacht Selbstmord begangen. Der Freitod scheint im Zusammenhang mit dem Skandal zu stehen, den der als linker Intellektueller bekannte Radiojournalist ausgelöst hat, als er öffentlich Partei für zwei junge Einheimische ergriff, die an seinem Wohnort einen afrikanischen Sans-Papiers brutal ermordet haben. Als sich Ania zur Beerdigung in der Pariser Peripherie aufmacht, schlägt ihr in dem tief gespaltenen Dorf eine hasserfüllte Atmosphäre entgegen. Aber auch in ihrem alten Elternhaus stösst sie einzig auf Fremdheit und muss sich die Frage stellen, wie es dazu kommen konnte, dass ihr Vater eine solch unerträgliche Wendung vollzog.

Pascale Kramer seziert in Autopsie des Vaters ein Land im Kippzustand. Das Skalpell ansetzend, erzählt sie vom Wegschauen sowie von der Abschottung einer ganzen Gesellschaftsschicht und wirft gleichzeitig ein schmerzhaft klares Licht auf das Innerste einer Familie, die verpasste Verständigung zwischen Vater und Tochter.

Bei den 52 Besten Büchern hat Pascale Kramer im August 2017 ein Interview gegeben.

Über die Autorin / über den Autor:

Pascale Kramer ist Autorin zahlreicher Romane. 1961 in Genf geboren und aufgewachsen in Lausanne, verbrachte sie einige Jahre in Zürich. 1987 ging sie nach Paris, wo sie auch heute lebt und arbeitet. Mit ihrem vierten Roman, Die Lebenden (Prix Lipp Suisse), 2000 in Frankreich und 2003 erstmals auf Deutsch (Übersetzung Andrea Spingler) erschienen, kam der literarische Durchbruch. Im Rotpunktverlag liegt ausserdem Die unerbittliche Brutalität des Erwachens (2013) vor, für den ihr der Schillerpreis, der Prix Rambert und der Grand Prix du Roman de la SGDL zuerkannt wurde. 2017 konnte Pascale Kramer mit dem Schweizer Grand Prix Literatur erstmals eine Auszeichnung für ihr Gesamtwerk entgegennehmen.

Andrea Spingler, 1949 geboren, übersetzte u.a. Marguerite Duras, Patrick Modiano, Alain Robbe-Grillet sowie mehrere Romane von Pascale Kramer. Ausgezeichnet 2007 mit dem Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis und 2012 mit dem Prix lémanique de la traduction. Sie lebt in Oldenburg und in Südfrankreich.

Preis: CHF 25.00
Sprache: Deutsch (aus dem Französischen von Andrea Spingler)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2017 (2016)
Verlag: Rotpunktverlag
ISBN: 978-3-85869-759-2
Reihe: Edition Blau
Masse: 172 S.

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