Marie NDiaye

Die Chefin. Roman einer Köchin

Vor Jahren habe ich das Buch Drei starke Frauen von Marie NDiaye gelesen, das entscheidende Momente von Frauenleben zwischen Afrika und Frankreich zum Thema machte. Es war eines jener Bücher, die einem "einfahren", deren emotionale Kraft und sprachliche Einzigartigkeit in der Erinnerung haften bleiben. Da war ich natürlich gespannt auf ihren neuen Roman einer Köchin.

Die Chefin ist anders, hat nicht die Handlungsdichte und emotionale Vielfältigkeit der drei Novellen, sondern vertieft einen einfachen Plot und eine spezifische Sichtweise zu aussergewöhnlicher Intensität. Doch die auf eine einzige Perspektive beschränkte, eher bedächtige Erzählweise zieht einen mehr und mehr in ihren Bann: Das Leben einer aussergewöhnlichen Küchenchefin wird von einem zwanzig Jahre jüngeren Koch erzählt, der lange ihr Assistent und lebenslang in sie verliebt war. Während später Abende in der Küche ihres Restaurants wurde er zu ihrem Vertrauten und erfuhr von ihrer Geschichte, ihren Träumen und ihren Sorgen. Mit unermüdlichem Bemühen versucht er, den Lesenden diese einzigartige Persönlichkeit und Objekt seiner unglücklichen Liebe näher zu bringen. Obwohl er dafür eigentlich viel zu jung ist lebt er unterdessen in einer Rentnerresidenz in Lloret de Mar.

Die Chefin, so nennt sie der ebenfalls namenlose Ich-Erzähler bis zum Schluss des Romans, ist in einfachsten Verhältnissen im ländlichen Frankreich aufgewachsen und arbeitet als Jugendliche bei einem reichen älteren Ehepaar als Hausangestellte. Ihre Passion für das Kochen entdeckt sie, als sie während der Ferien der Köchin die Zubereitung der Speisen für das Feinschmeckerpaar übernimmt und die Köchin schliesslich ersetzt. Nach einem unglücklichen kurzen Intermezzo während dem sie sich ganz zurückzieht um sich ihrer neugeborenen Tochter zu widmen, gelingt es ihr, in Bordeaux eine Stelle in einem bekannten Restaurant zu finden und schliesslich mit La Bonne Heure ihr eigenes kleines Restaurant zu eröffnen. Kochen ist für die Chefin in jedem Sinn eine Leidenschaft, eine Kunst, eine schon fast spirituell zu nennende Suche, in der es darum geht, die Essenz von Nahrungsmitteln herauszuarbeiten, möglichst schlichte, aber perfekte Kombinationen zu finden, aussergewöhnliche Geschmackserlebnisse zu ermöglichen. Wichtig ist ihr auch, dass alle Zugang haben zu ihrer Küche. Ihre Preise sind moderat, Reservationen akzeptiert sie keine, wenn es Platz hat, ist jede und jede willkommen.

Als das Restaurant schliesslich einen Michelin-Stern verliehen bekommt, empfindet die Chefin dies als Unglück, auch wenn die meisten Köche über eine solche Auszeichnung stolz wären. Der neue Ruhm bringt auch ihre Tochter zurück, die in Kanada vage Studien betreibt, aber vor allem recht luxuriös vom Geld ihrer Mutter lebt. Der Erzähler beschreibt sie als unsympathische, fordernde, stets unzufriedene junge Frau, die von der Chefin – wohl aus einem schlechten Gewissen heraus – verwöhnt und gefürchtet wird. Zurück in Frankreich übernimmt die Tochter das Management des Restaurants und krempelt alles um: das Lokal wird auf edel gestylt, es gibt protzige Menükarten und modisches Geschirr, Hintergrundmusik und ein Reservationssystem. Zur Kundschaft gehören nun bekannte Politiker und reiche Leute, was die früheren Gäste verscheucht.

Der Erzähler verlässt La Bonne Heure und lässt sich in einem anderen Restaurant anstellen, heiratet eine Kollegin, ist aber bald wieder geschieden. Mit Kummer stellt er eines Tages fest, dass La Bonne Heure geschlossen wurde und die Chefin verschwunden ist. Dass er sie später wiederfindet, als sie ein neues Restaurant eröffnet, hilft ihm aus einer tiefen Depression heraus. Nein, die Chefin wird seine Liebe nicht erwidern, aber er ist ihr einziger Freund. Sie hat ihr Leben ganz ihrer Leidenschaft, der Kunst des Kochens gewidmet, für anderes war da kaum Platz. Elisa Fuchs

Klappentext:

Eine Frau aus bescheidenen Verhältnissen eröffnet ein Restaurant in Bordeaux und wird mit einem Stern ausgezeichnet. Welche Künste hat sie in der Küche gelernt und neu interpretiert? Wie ist sie zur berühmten Chefköchin geworden? Marie NDiaye, die überragende Stilistin, nimmt in ihrem neuen Roman den Leser mit auf eine biographisches Erkundungsreise, die sich immer mehr in ein Erlebnis verwandelt. Der Erzähler, langjähriger Mitarbeiter der Chefin und ihr in (vergeblicher) Liebe verbunden, berichtet von ihrem Leben – ihrem Charakter, ihren Lieben, ihrer Ausbildung, der Kunst der Kochkomposition, dem privaten wie öffentlichen Umgang –, indem er Fragen und Erwartungen der Leser aufgreift, sie beantwortet und zugleich ins Leere laufen lässt: Sie verlangen danach, unbeantwortet zu bleiben.

Über die Autorin / über den Autor:

Marie NDiaye, 1967 in Pithiviers bei Orléans geboren, veröffentlichte mit 17 Jahren ihren ersten Roman; weitere Romane und Theaterstücke folgten. Für Drei starke Frauen erhielt sie den Prix Goncourt. Die Autorin lebt seit 2007 mit ihrer Familie in Berlin.

Preis: CHF 17.90
Sprache: Deutsch (aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer)
Art: Taschenbuch
Erschienen: 2018 (2016)
Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-46896-8
Masse: 333 S.

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