Emmanuelle Bayamack-Tam

Sommerjungs

Ein sarkastischer und zeitgenössischer Roman, der gnadenlos die Lebenslügen einer bourgeoisen Familie in der französischen Provinz Stück für Stück seziert. Emmanuelle Bayamack-Tam führt uns überzeugend und spannend eine Familie vor, die alles besitzt, was uns die Werbung als erstrebenswert verkauft: Villa in Biarritz, SUV, Designermöbel, Winterferien, schöne Körper, ausgezeichnete Bildung und und und, um schliesslich in ihren eigenen Abgründen zu versinken. Der Abstieg beginnt, als der älteste Sohn bei einem Surfunfall auf La Reunion ein Bein verliert und dieser von den Eltern vergötterte Sohn nicht damit klarkommt. Er verstrickt sich in Verschwörungstheorien und Gewaltfantasien und sein dunkles Inneres, das sich schon vor dem Unfall zeigte, bricht nun voll durch. Die Eltern, selbst eher farblos, Vater Apotheker, Mutter, die ebenfalls Pharmazie studierte, nun aber Hausfrau und ehrgeizige Mutter, fanden bis zu diesem Zeitpunkt Genugtuung in ihren Zöglingen, die an Stelle von ihnen über andere triumphieren sollten. Ein Scheitern war nicht eingeplant, nicht tolerierbar. Eine Behinderung undenkbar für diese Vorzeigefamilie. So verglichen die Eltern ihre Söhne mit Titanen, die sie hervorgebracht hatten. Die Tochter Ysé spielt für sie hingegen nicht wirklich eine Rolle. Ysé ist die Jüngste, die, wie es sich für eine dieser christlich patriarchal geprägten Familien gehört, erst dann zu einem eigenen Kapitel im Buch schafft, als ihre beiden Brüder nicht mehr sind bzw. nicht mehr unangreifbar sind. Klug versucht sie, zunehmend auf sich allein gestellt, aufzuwachsen. Fleissig und angepasst überlebt sie als einzige die Katastrophe relativ gut, aber von Entfaltung bzw. erfülltem Leben kann nicht die Rede sein.

Die biblischen Namen der Söhne, Thadée und Zachée, weisen dabei passend auf das Archaische dieser Familien-Konstellation hin. Die einzige, wirklich kräftige weibliche Stimme ist die von Cindy. Sie erhält im Buch auch einige eigene Kapitel. Sie ist die Freundin von Zachée, aus einer nicht bürgerlichen Familie stammend besitzt sie ein Klassenbewusstsein und verachtet den narzisstischen Thadée. Sie ist es dann auch, die den Mord an Zadée auf schreckliche Weise rächen wird. Sommerjungs ist kein Kuschel Coming of Age oder Badeurlaub-Roman, sondern ein Roman voller Abgründe. Eine Tragödie, der es jedoch sehr lohnt zu folgen. Bürgerliche Allmachtsfantasien, Vergewaltigung und Mord werden klar verortet. Zudem verschafft uns Emanuelle Bayamack-Tam, eine aussergewöhnlich gute und sensible Beobachterin, einen eindrücklichen Einblick in die von Internet, Konkurrenzkampf und Körperkult geprägten Lebenswelten junger Menschen im heutigen Frankreich. Kein Roman für eine schöne laue Sommernacht, sondern für ein waches Lesen in den frühen Morgenstunden. ap

Klappentext:

Thadée und Zachée, schön wie junge Götter, brillante Studenten, zwei Brüder aus gutem Hause und strahlend kraftvolle Surfer: Sie glauben, der Sommer ihres Lebens ende nie – dieser leuchtende Sommer zwischen mächtigen Wellen, aufschäumender Gischt und dem pudrigen Licht des Meeres. Thadée jedoch, von einem Hai verstümmelt, findet sich jäh seiner so begnadeten Existenz beraubt. Eifersucht und bissiger Neid treiben ihre Wurzeln in ihm.

Der plötzliche Tod von Zachée gibt der Familie den Gnadenstoss, die nun, von Thadées Schicksal bereits erschüttert, langsam, aber sicher in den Sog des Wahnsinns driftet.

Der von Körperlichkeit, Eros und Freiheit getragenen Atmosphäre des Surfens tröpfelt die Autorin das Gift der Spannung eines perfekt komponierten Thrillers ein. Mit lustvoller Intensität zerstört sie dabei die Lügen, die sozialen Konventionen, das Gehabe, die sie allesamt mit fröhlicher Grausamkeit buchstäblich zerlegt.

Über die Autorin / über den Autor:

Emannuelle Bayamack-Tam, geboren 1966 in Marseille, lebt in Paris und arbeitet als Lehrerin in Seine-St.-Denis. Sie ist Mitbegründerin der Zeitschrift Autres & Pareils für zeitgenössische Kunst und Literatur und leitet die éditions Contre-Pied seit ihrer Gründung mit J.-M. GLeize und O. Domerg. Seit 1996 erscheint ihr Werk bei dem französischen Verlag P.O.L. Sommerjungs hat die Autorin in Frankreich unter dem Pseudonym Rebecca Lighieri veröffentlicht, es ist ihr fünfter Roman in deutscher Übersetzung bei Secession.

Preis: CHF 34.00
Sprache: Deutsch (aus dem Französischen von Christian Ruzicska)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2022 (2017)
Verlag: Secession
ISBN: 978-3-907336-17-5
Masse: 346 S.

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