Remo Rapino

Das wundersame Leben des Liborio Bonfiglio

Wer sich zwischendurch aus den aktuellen politischen Debatten in Italien ausklinken möchte, dem/der sei die Lektüre dieses Buches empfohlen. Es ist eine fulminant erzählte Lebensgeschichte über ein wundersames Leben, das im Süden Italiens Anfang der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts beginnt. Dieses Leben wird vom Autor eng mit der Geschichte Italiens verwoben, wodurch ein gesellschaftliches Sittengemälde entsteht, das von Liberio Bonfiglio mit feinem Witz und Ironie gezeichnet wird.

Der Protagonist wird 1926 in einem kleinen Dorf im Süden Italiens als Sohn einer alleinerziehenden Mutter und Enkel eines Kommunisten geboren. Zwei Umstände, die bestimmend für sein wundersames Leben werden, bedeuten sie im präfaschistischen Italien nicht nur Armut, sondern auch soziale Ächtung. Wer an dieser Stelle nun einen literarischen Abgesang auf Armut und Ausgrenzung erwartet, wird enttäuscht. Denn Remo Rapino lässt seinen Protagonisten weder anklagend noch larmoyant erzählen. Im Gegenteil, er zeichnet mit Liberio Bonfiglio eine literarische Figur, die ein schweres Leben mit einem Augenzwinkern erzählt. Er lässt den Protagonisten mehr durch sein Leben stolpern, als dieses vorausschauend oder gar absichtsvoll planen. So beteiligt sich Liberio Bonfiglio als Jugendlicher am faschistischen Wiederstand nicht explizit aus politischen Gründen, sondern aus dem Wunsch heraus, Teil einer Gruppe zu sein. Ähnlich verhält sich Liberio, als es in den sechziger Jahren in den Industriezentren im Norden Italiens der Streikbewegung anschliesst. Bonfiglio, der zunächst Arbeit in Turin, dann in Mailand gefunden hat, wird aktiver Teil der Streikbewegung. Nicht, weil er den politischen Slogans der Gewerkschaft folgen möchte, sondern weil er sich in einer Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten abwertend behandelt fühlt. Als diese Auseinandersetzung zwischen ihm und seinem Vorgesetzten gewalttätig eskaliert, kommt Bonfiglio ins Gefängnis. Arbeit findet er danach keine mehr. Mit einer Abfindung und einer kleinen Rente in der Tasche kehrt er in sein kleines Dorf zurück, wohnt im abbruchreifen Haus seiner Mutter und erzählt aus seinem wundersamen Leben. Für kurze Zeit wird Liberio Teil der Dorfgemeinschaft, die in der Dorfkneipe seinen wundersamen Geschichten lauschen. Als das Geld verbraucht ist und Liberio die Dorfbewohner:innen nicht mehr einladen kann, will niemand mehr seine Geschichten hören. So geht sein Leben zu Ende, wie es begonnen hat: arm und sozial ausgegrenzt.

Das Wunderbare an dem Buch ist nicht nur die erzählte Geschichte, sondern dass der Autor den Protagonisten nie in einem bitteren oder anklagenden Ton sprechen lässt. Stattdessen wird ein Sprachwitz aufgerufen, der zwar das Bittere deutlich einfängt, dieses aber gleichzeitig auf eigene Art und Weise zum Tanzen bringt. Es ist dieser Tanz, dieses Stolpern durch die die eigene Biografie und die Unwägbarkeiten der Geschichte Italiens, das Liberio Bonfiglio zu einer sympathischen Figur macht und zur Lektüre dieses wundersamen Lebens einlädt. Doris Gödl

Klappentext:

Liborio Bonfiglio, ein liebenswerter Aussenseiter, fällt immer und überall auf mit seinem Anderssein, seinem eigenwilligen Blick auf die Welt. Mutterseelenallein und unglücklich verliebt verlässt er das kleine Dorf in Süditalien und versucht, seine Träume von einem besseren Leben im Norden zu verwirklichen. Er findet Arbeit in der Fabrik und in der Gewerkschaft erstmals ein Gefühl von Zugehörigkeit. Es sind die 68er, eine bewegte Zeit. Die sich zuspitzenden Proteste und Kämpfe nehmen für Liborio aber eine unerwartete Wendung.

Und so landet er wieder in seiner Heimat, wo er in seiner unverwechselbaren Sprache und aus seiner einzigartigen Perspektive zu erzählen beginnt: die Geschichte seines ereignisreichen Lebens und zugleich die Geschichte eines ganzen Landes.

Über die Autorin / über den Autor:

Remo Rapino, geboren 1951, unterrichtete Philosophie und Geschichte und hat mehrere Romane, Erzählungen und Gedichtsammlungen veröffentlicht. Mit seinem Roman Das wundersame Leben des Liborio Bonfiglio, der von der Kritik und der Presse in Italien enthusiastisch gefeiert wurde und zum grossen Überraschungserfolg avancierte, gewann er 2020 unter anderem den renommierten Premio Campiello. Remo Rapino lebt in Lanciano in den Abruzzen.

Preis: CHF 30.00
Sprache: Deutsch (aus dem Italienischen von Walter Kögler)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2022 (2019)
Verlag: Kein & Aber
ISBN: 978-3-0369-5864-4
Masse: 320 S.

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