Laurent Gaudé

Le soleil des Scorta

Gaudés Roman ist eine in ihrer Art sehr mediterrane Familiensaga. Sie spielt in einem apulischen Dorf, Montepuccio, in der Zeit zwischen 1875 und 1986. Die Geschichte ist einer männlichen Person gewidmet: Knabe, erwachsener Mann? Man weiss es nicht. Diese Person namens Elio hat die Sonne dieser Landschaft in seinem Blut. Ein dem Roman vorangehendes Zitat aus dem Gedichtband Lavorare  stanca von Cesare Pavese mit dem Titel I mari del Sud skizziert in einer poetischen Prosa zwei Männer, Cousins, die auf einem Hügel nebeneinander daherschreiten. Der eine Mann beschreibt seinen Begleiter: Es ist in Weiss gekleideter Riese mit braungebranntem Gesicht. Sein Gang ist aufrecht, ruhig und sicher. Stumm schreitet er neben seinem Gefährten. Und es fällt auch der Satz: Tacere è la nostra virtù.

Das Schweigen ist eine Tugend dieses Menschenschlags. Gaudé gibt dem Leser mit diesen Zeilen einen sehr gelungenen und stimmigen Einstieg in die nun folgende Erzählung. Das erste von insgesamt 10 Kapiteln führt uns in eine sommerliche Landschaft. Die Sonne lässt die Steine schmelzen und das Leben scheint vor lauter Hitze erstarrt zu sein. In dieser Landschaft reitet ein Mann auf seinem Esel in das in der Mittagshitze daliegende menschenleere Dorf Montepuccio. Der Reiter ist Luciano Mascalzone – ein Bandit, der nach 15 Jahren Abwesenheit mit einer einzigen Absicht in sein Dorf zurückkommt: Er will seine grosse Liebe von damals, die er nur begehren aber nicht besitzen konnte, zu seiner Frau machen. Hinter der Türschwelle eines Hauses wartet eine Frau und bittet Luciano ins Innere. Draussen schweigt das Dorf. Dieses Ereignis ist die Geburtsstunde der sich anschliessenden Familiensaga. Aber diese Geschichte beginnt unter einem schlechten Stern. Die Frau, die sich dem einsamen Rückkehrer hingibt, ist nicht Filomena, die so Begehrte, sondern deren Schwester Immacolata. Luciano erfährt diese Wahrheit erst im Moment seines Todes, als er von den Dorfbewohnern wegen dieser Vergewaltigung, die aber eigentlich keine war, weil Immacolata sich freiwillig diesem Manne hingegeben hat, gesteinigt wird. Er stirbt verzweifelt im Wissen um diese Verwechslung. Filomena, seine Liebste, war schon vor Jahren gestorben. Es folgt nun Generation auf Generation, denn Immacolata gebiert Rocco, der vom Dorfpfarrer in ein anderes Dorf weggegeben wird und bei Fischern zu einem jungen Mann heranwächst. Auch er wird Bandit und plagt und verunsichert die Menschen im Gargano. Auch er kehrt nach mehreren Jahren in das Dorf seines Vaters Luciano zurück. Auch er schwängert eine Frau. Im Gegensatz zu seinem Vater heiratet er aber und gründet als wohlhabender Mann unter dem neuen Namen Scorta-Mascalzone eine Familie. Die Schicksale seiner Kinder Carmela, Domenico, Giuseppe und ihrer Nachkommenschaft sind Gegenstand der folgenden neun Kapitel.

Das Buch Le soleil des Scorta ist ein packend geschriebener und äusserst atmosphärischer Roman. Gaudé lässt viele Figuren auftreten und vor allem zwei Stimmen zu Wort komme. Da ist die Stimme des Erzählers, der von den Schicksalen der Familienmitglieder  bis ins Jahr 1986 berichtet und die Ich-Stimme Carmelas, der Tochter von Rocco, die erst am Ende ihres Lebens dem Dorfpfarrer Don Salvatore ihr Geheimnis preisgibt. Vor den Augen des Lesers entsteht eine mediterrane Welt. Atavistische Verhaltensweisen regeln den Alltag der Dorfbewohner. Da ist die Rede vom "bösen Blut" der Scortas, von Schande und Ehre, von Blutsbanden und schicksalshaften Begegnungen, von Verzweiflung und Stolz, von Emigration und Rückkehr, von familiären Zwängen und Befreiungsschlägen, von Sehnsucht und Liebe, von Solidarität und Einsamkeit. Man taucht ein in die Welt Süditaliens und seiner Menschen, man liest, wie sie leben, lieben, feiern, sterben. Am Ende des Buches bedankt sich Gaudé mit folgenden Worten bei den Bewohnern jener Kleinstadt in Apulien, die ihm für seinen Roman so viele kenntnisreiche Details erzählt haben: Ces lignes ont été écrites pour eux. Je voudrais qu’elles ne disent que cela: Combien me sont précieux ces instants sous le soleil des Pouilles. –  Angela Willimann

Klappentext:

L'origine de leur lignée condamne les Scorta à l'opprobre. A Montepuccio, leur petit village d'Italie du Sud, ils vivent pauvrement, et ne mourront pas riches. Mais ils ont fait voeu de se transmettre, de génération en génération, le peu que la vie leur laisserait en héritage. Et en dehors du modeste bureau de tabac familial, créé avec ce qu'ils appellent "l'argent de New York", leur richesse est aussi immatérielle qu'une expérience, un souvenir, une parcelle de sagesse, une étincelle de joie. Ou encore un secret. Comme celui que la vieille Carmela confie au curé de Montepuccio, par crainte que les mots ne viennent très vite à lui manquer. Roman solaire, profondément humaniste, le livre de Laurent Gaudé met en scène, de 1870 à nos jours, l'existence de cette famille des Pouilles à laquelle chaque génération, chaque individualité, tente d'apporter, au gré de son propre destin, la fierté d'être un Scorta, et la révélation du bonheur.

Über die Autorin / über den Autor:

Né en 1972, romancier et dramaturge, Laurent Gaudé a publié chez Actes Sud plusieurs pièces de théâtre et trois romans: Cris, La Mort du roi Tsongor (2002, prix Concourt des lycéens 2002, prix des Libraires 2003) et Le Soleil des Scorta, qui a été couronné en 2004 par le prix Goncourt, ainsi que par le prix Jean Giono et le prix du roman populiste. 

Preis: CHF 12.90
Sprache: Französisch
Art: Taschenbuch
Erschienen: 2019 (2004)
Verlag: Actes Sud
ISBN: 978-2-7427-6018-3
Masse: 287 S.

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