Ein unmöglicher Typ, dieser Zeno: ein verwöhnter Bürgersohn, der nicht zu arbeiten braucht, willensschwach, selbstbezogen, wehleidig. Lang und breit und manchmal auch selbstironisch beschreibt er seinen wenig heldenhaften Alltag, seine vergeblichen Versuche, mit dem Rauchen aufzuhören, die missratenen Geschäfte, seine überraschend gute Ehe und seine realen und imaginierten Affären, zu denen es ihn trotzdem immer wieder drängt.
Doch ist man einmal in den Roman eingetaucht, lässt er einen nicht mehr los. Auf Anraten seines Psychoanalytikers hat Zeno angefangen, seine Geschichte aufzuschreiben, die Analyse dann aber bald entnervt aufgegeben. Dieser Doktor S. ist es denn auch, der im Vorwort behauptet, das Buch herauszugeben, und sich gleichzeitig davon distanziert, so voller Wahrheiten und Lügen sei diese Autobiographie, dass er hoffe, dass sie dem Publikum missfalle. Falls es dann aber doch Einnahmen daraus gebe, sei er gerne bereit, diese mit seinem ehemaligen Patienten zu teilen.
Als das Buch 1923 erschien – als erste Auseinandersetzung mit Sigmund Freuds Theorien in der italienischen Literatur – fand es keinerlei positives Echo. Das änderte sich erst, als James Joyce, während seines Aufenthalts in Triest Italo Svevos Englischlehrer, den Roman in Frankreich bekannt machte. Französische Kritiker sahen in Svevo den wichtigsten zeitgenössischen italienischen Autor. Für italienische Literaturgelehrte war es jedoch schwer zu akzeptieren, dass dieser Erneuerer der italienischen Literatur ausgerechnet aus Triest, dem ehemaligen Österreich-Ungarn kommen sollte.
Italo Svevo – der italienische Schwabe – ist das Pseudonym von Ettore Schmitz, der 1861 in Triest geboren wurde. Sein Romanheld Zeno betont denn auch mehrmals, dass er normalerweise Triester Dialekt – einen venezianischen Dialekt durchsetzt mit Wörtern slowenischen und deutschen Ursprungs – spreche und ihm das Italienische nicht ganz so geläufig sei. Für Zeno spielt jedoch das politische Umfeld keine grosse Rolle, er begegnet allen Menschen mit unverbindlicher Freundlichkeit, und als er gegen Schluss des Buches zwischen die Fronten des 1. Weltkriegs gerät, beschäftigt ihn die Tatsache, dass er seinen Morgenkaffee noch nicht getrunken hat, fast mehr als die Besorgnis über die politische Situation.
Und warum soll man denn das Buch über diesen Antihelden lesen? Zuerst einmal, weil es ein grosses Lesevergnügen ist, man gerät oft ins Schmunzeln ob der – gespielten? – Naivität mit der Zeno seine Abenteuer beschreibt, etwa sein Werben um eine Frau zum Heiraten. Die besten Chancen dafür sieht er in der Familie des erfolgreichen Geschäftsmannes Giovanni Malfenti, der so ganz anders ist als er, zupackend, skrupellos, wenn es sein muss. Er hat den jungen Mann, der ins Geschäftsleben einsteigen will, unter seine Fittiche genommen, nimmt den unpraktischen "Studierten" aber gleichzeitig nicht ganz ernst. Zeno intensiviert seine Besuche bei der Familie mit den vier Töchtern und verliebt sich in die hübsche und selbstbewusste Ada. Doch diese will nichts wissen vom Hausgast, der die Runde damit unterhält, seine Missgeschicke zu erzählen und sich so eher zum Clown als zum ernstzunehmenden Heiratskandidaten macht. Auch ihre Schwester Alberta weist ihn zurück, sie will studieren, nicht heiraten. Anna, die Jüngste, ist noch ein Kind, das sich aber recht unverschämt über ihn lustig macht. Bleibt also nur Augusta, die im Gegensatz zu ihren Schwestern nicht sehr hübsch ist, ihn dafür aufrichtig liebt. Also heiratet er schliesslich Augusta. Wie das meiste in seinem Leben, hat sich das einfach so ergeben. Dass er mit der Zeit feststellt, dass er sie wirklich liebt und mit dieser als vorbildlich geltenden Ehe zum idealen Schwiegersohn wird, lässt erahnen, dass sein Mangel an Entschlossenheit vielleicht auch positive Seiten hat.
Ada hat weniger Glück mit ihrem Mann Guido, einem jungen, musikalischen Argentinier, ebenfalls Sohn eines erfolgreichen Geschäftsmanns, aber noch untüchtiger und unvernünftiger als Zeno und ganz offensichtlich ein Frauenheld. In seinem Wunsch, ein erfolgreicher Geschäftsmann zu werden, engagiert sich Zeno im Handelshaus seines Schwagers. Denn das gutgehende Geschäft, das ihm sein Vater hinterlassen hat, verwaltet Geschäftsführer Olivi alleine, das hat sein Vater testamentarisch so festgelegt. Immerhin ist Zeno – auch auf den Rat von Augusta – so klug, sich finanziell nicht gross an Guidos Geschäft zu beteiligen. Denn wie zu erwarten geht die abenteuerliche Firma Konkurs und Guido kommt bei seinem zweiten inszenierten Selbstmordversuch tragischerweise wirklich ums Leben.
Es gäbe noch so manche spannende oder schräge Szene zu erzählen. Manchmal wird einem Zeno mit seiner Unentschlossenheit und seinen Selbstzweifeln sogar sympathisch, denn wer hätte nicht auch ein wenig Zeno in sich. Aber besser, Sie lesen das Buch. Der nicht sehr bekannte italienische Klassiker ist mehrdeutig und vielschichtig: Es geht nicht nur um die Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse, deren assoziative Erzählweise der Roman übernimmt, er ist auch ein aufschlussreiches Zeitdokument und ein literarisches Meisterwerk. Elisa Fuchs
Klappentext:Die Einbildungsgabe des Mannes ist unerschöpflich. Nur wenige Autoren der Weltliteratur haben diese Gabe so herrlich indiskret blossgelegt wie Italo Svevo. Zeno Cosini, sein berühmtester Protagonist, kann mit seinen siebenundfünfzig Jahren auf eine beeindruckende Bilanz ungenutzter Chancen und verpasster Gelegenheiten zurückblicken. Einerlei, ob er eine gute Partie machen wollte oder bloss versuchte, sich das Rauchen abzugewöhnen, ob er sich als Geschäftsmann betätigte oder auf ein erotisches Abenteuer aus war – ein ums andere Mal schlug ihm das Schicksal ein Schnippchen. Nichtaucher ist er mit knapp sechzig immer noch nicht, und seine Frau hat er nur deshalb geheiratet, weil deren Schwestern ihn zuvor abgewiesen hatten.
"Das Grandiose an Svevos Helden", schreibt Maike Albath in ihrem Nachwort, "ist ihre Zerrissenheit, die sich in jämmerlichen Liebeszwisten, scheiternden Verzichten, punktuellem Aktionismus und erneuten Lähmungen äussert." Da sich das Unperfekte mitunter jedoch als Glücksfall herausstellt, ist es Zeno Cosini wider Erwarten vergönnt, sein chronisches Unvermögen zur höheren Lebenskunst zu veredeln.
Über die Autorin / über den Autor:Italo Svevo, "der italienische Schwabe", ist das Pseudonym des 1861 in Triest geborenen Ettore Schmitz. Er starb 1928 an den Folgen eines Autounfalls in der Nähe von Treviso. Väterlicherseits von deutschsprachigen Juden abstammend, besuchte Svevo die Schule in der Nähe von Würzburg. Er war Bankangestellter und später Unternehmer. In seinen Romanen nahm er Freud vorweg – und wurde daher zunächst verkannt. James Joyce, damals selbst noch unbekannt, ermutigte ihn auf seinem Weg. Heute gilt Svevo als Meilenstein der Literaturgeschichte.
Preis: CHF 35.90