Paco Roca

Rückkehr nach Eden

Der spanische Graphic Novellist Paco Roca widmet sein neustes Werk Regreso al Edén wiederum den sogenannt einfachen Leuten, deren Alltag allerdings in den dramatischen Zeiten von Bürgerkrieg und Diktatur ebenfalls zum Drama wird. Er zeichnet gewohnt liebenswürdig, aber auch mit viel Hintersinn, der sich manchmal erst auf den zweiten Blick erschliesst. 

Dreh- und Angelpunkt ist ein Foto aus dem Jahr 1946, aufgenommen an einem Sommertag am Strand. Es zeigt die junge Antonia, ihre Mutter und ihre Brüder, eine fröhliche Tafelrunde, Wein trinkend, das mitgebrachte Picknick geniessend. Ein zufällig vorbeikommender Fotograf hält den glücklichen Augenblick fest. Dieses Foto begleitet Antonia ein Leben lang, und wir begleiten sie mit. Doch nach dem Umzug zur letzten Wohnstation, dem Altersheim, ist es plötzlich verschwunden. Antonias erwachsene Kinder verstehen die Aufregung und Empörung ihrer Mutter nicht über diesen lächerlich kleinen Verlust. Aber für Antonia ist das Foto eben mehr als nur ein vergilbtes Stück Hochglanzpapier. Es ist der Beweis, dass es auch für sie einmal heitere Stunden mit ein wenig Glanz und Grosszügigkeit gegeben hat. Ihr Alltag war sonst bitter und schwierig, wie für Millionen in Spanien: die bösen Hungerjahre, die allgegenwärtige Gewalt und Korruption, die Willkür der Mächtigen, die Doppelmoral der Kirche. Viele Entbehrungen und Ängste, vor denen Antonia seit Kindsbeinen in eine Phantasiewelt geflüchtet ist, wobei sie Bücher, Filme, einmal auch die Landung eines Ballons als Fluchtgefährten benützte. Seelisches Überleben dank innerer Emigration. Und dank dem Strandfoto, die Mutter in Schwarz und mit weisser Schürze, ein Bruder mit nacktem Oberkörper, Antonia sorglos lachend. Einen Tag in Eden!

Nur: diesen Tag gab es so gar nicht. Das Foto, an das sich Antonia klammert, dokumentiert einen alles anderes als friedlichen Moment. Paco Roca entzaubert Antonias Illusion Schritt für Schritt, lässt mit jedem Bild mehr Realität hereinbrechen. Aber er tut es behutsam, als müsste er sie wie auch seine Leser:innen schützen.

Das Buch ist äusserst sorgfältig gestaltet und wunderschön komponiert mit alten Fotos aus Rocas persönlichem Familienalbum. So lüftet der Zeichner mit dem stillen, traurigen Stift auch ein wenig sein eigenes Familiengeheimnis. Anrührend! Maya Doetzkies

Klappentext:

Anhand eines Familienfotos, das 1946 am Strand von Nazaret nahe der Stadt Valencia entstand, erschafft Paco Roca ein Fresko über das Spanien der Nachkriegszeit. Gezeichnet aus dem Blickwinkel eines Familienmitglieds, das wie unzählige Menschen unter Francos Diktatur in bescheidenen Verhältnissen lebte und sich gezwungen sah, auf dem Schwarzmarkt das Nötigste für den Alltag zu besorgen. Ein nachdrückliches und feinfühliges Porträt eines grauen Spaniens, dessen Freiheiten durch ein diktatorisches Regime beschnitten wurden.

Nachdem La Casa dem Gedenken an seinen Vater gewidmet war, setzt Paco Roca in diesem mit autobiografischen Bezügen gespickten Werk seinen Streifzug durch die Erinnerung fort. Emotional und ausgewogen gelingt ihm mit verschiedensten grafischen Stilmitteln und narrativen Elementen sein wohl ehrgeizigstes Werk als Zeichner und Autor.

Über die Autorin / über den Autor:

Paco Roca, geboren 1969 in Valencia, ist einer der erfolgreichsten Comiczeichner Spaniens. Seine Graphic Novel Kopf in den Wolken, in der er eindringlich den Verlauf einer Alzheimer-Erkrankung nachzeichnet, wurde 2008 vom spanischen Kulturministerium mit dem Nationalen Comic-Preis bedacht. Die Verfilmung des Stoffs, für die Paco Roca selbst das Drehbuch verfasste, ist mehrfach preisgekrönt.

Preis: CHF 33.90
Sprache: Deutsch (aus dem Spanischen von André Höchemer)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2021 (2020)
Verlag: Reprodukt
ISBN: 978-3-95640-278-4
Masse: 184 S.

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