Wytske Versteeg

Die goldene Stunde

Ein Tryptichon – die Frau im westlichen Land, das Geflüchtete zähneknirschend aufnimmt; der Geflüchtete im nicht-westlichen Nachbarland, der nicht vor dem Land und dessen Häschern geflüchtet ist, sondern vor sich selbst und vor dem, zu was ihn dieser Staat hat machen können; und der Geflüchtete im westlichen Land, der hasst, wie er behandelt wird, der sich nicht so demütigen mag, nicht wie ein Kind behandelt werden will, der seine Heimat mit jedem Atemzug vermisst.
Wie lässt sich Zivilcourage leben, bei uns, in einer Diktatur, als Bürgerin mit vollen Bürger:innenrechten, als Geflüchteter ohne Teilhabe am politischen Umfeld? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Da ist Mari, die helfen will, um ihren Idealen treu sein zu können. Sie lernt Ahmad kennen, der aus einem Bürgerkriegsland fliehen musste, weil er seine Zivilcourage im Kampf gegen die Diktatur entfaltete. Sie versuchen ein Paar zu sein, was ihnen aber nicht gelingt. Zu tief sind Ahmads Verletzungen, zu wenig Vertrauen kann er diesen gutmeinenden Helfenden entgegenbringen. Und zu naiv ist vielleicht auch Mari. Als Ahmad verschwunden ist, reist sie in die Region jenseits der Grenze von Ahmads Herkunftsland, um sich ihm und seiner Geschichte nahefühlen zu können. Auf der Suche nach Felszeichnungen lernt sie Tarik kennen, der sie herumfährt. Tarik ist aus dem gleichen Land wie Ahmad. Aber es ist schon lange her, dass er von dort gegangen ist; nachdem er dort im Militär war und gemerkt hat, zu welcher Bestie er geworden ist. Er übersetzt für Mari Ahmads Texte, die er ihr zurückgelassen hat. Am Ende des Buches werden wir mit Tariks Zivilcourage zurückgelassen. Ist es wirklich Hoffnung oder ist es die Gewissheit, dass man – mindestens unter gewissen Umständen – sein Leben zu geben bereit sein muss, wenn man für seine Ideale einstehen will?
Der Roman ist mit grosser Empathie gegenüber allen drei Personen geschrieben. Da scheinen viele Gespräche zugrunde zu liegen, die das Schreiben genährt haben und denen die Autorin gut zugehört hat. Eine empfehlenswerte Lektüre! cn

Klappentext:

Mari, Ahmad und Tarik wissen nicht weiter. Alle drei sind auf der Suche nach Trost und Errettung und finden sie nicht. Ahmad ist vor dem Krieg in seiner Heimat geflohen, stiess in den Niederlanden jedoch auf neue Hindernisse. Mari wollte ihn beschützen und lieben, aber es gelang ihr nicht. Und der ehemalige Soldat Tarik hat sich in ein abgelegenes Grenzgebiet zurückgezogen, doch sein Gewissen nagt an ihm. Dort trifft er nun auf Mari, die mittlerweile ihr Zuhause hinter sich gelassen hat, nachdem ihr idealistisches Projekt katastrophal gescheitert ist.

Die drei Leben sind auf fatale Weise miteinander verflochten, die Geschichte droht sich zu wiederholen – und dennoch gibt es Hoffnung. Wytske Versteeg verfügt über eine besondere Menschenkenntnis, grosse Empathie und Scharfsinn. So schafft sie es, in äusserst prägnanten Bildern und Dialogen die Konflikte unserer Zeit in einen reichen, vieldeutigen Roman zu verwandeln. Ein lange nachhallendes Leseerlebnis.

Über die Autorin / über den Autor:

Wytske Versteeg, geboren 1983, Politikwissenschaftlerin, Essayistin und Romanautorin, schrieb ihr Debüt 2012. Ihr zweiter Roman Boy, in mehrere Sprachen übersetzt, erschien auf Deutsch bei Wagenbach. Für ihre Werke erhielt Versteeg zahlreiche Literaturpreise. Sie lebt in Delft.

Preis: CHF 35.50
Sprache: Deutsch (aus dem Niederländischen von Christiane Burkhardt)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2024 (2022)
Verlag: Wagenbach
ISBN: 978-3-8031-3364-9
Masse: 256 S.

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